Kampf um mehr Mitsprache
Am 11. Juni wird an zwei Orten in Österreich über umstrittene Bauprojekte abgestimmt. Warum die Anwendung der direkten Demokratie dabei völlig unterschiedlich verläuft.
WIEN, INNSBRUCK. Noch fünf Wochen, dann schlägt für zwei Orte in Österreich die Stunde der direkten Demokratie. In Innsbruck werden am 11. Juni alle wahlberechtigten Bürger befragt, ob die Bergstation der Patscherkofelbahn verlegt werden soll oder nicht. 550 Kilometer weiter östlich, in St. Andrä am Zicksee, fällt im Rahmen einer Volksabstimmung die Entscheidung, ob ein orthodoxes Kloster gebaut wird. Den demokratischen Bedürfnissen der Menschen wird allerdings auf völlig unterschiedliche Weise Genüge getan.
Der Reihe nach: Seit Monaten hatte der Neubau am Hausberg der Innsbrucker die Gemüter erhitzt. Zuerst wurde bekannt, dass sich die Kosten von ursprünglich 41 Millionen Euro auf 54 Millionen belaufen. Dann trat der Alpenverein auf den Plan und beschwerte sich, die Bergstation der Bahn nehme den Besuchern seiner Vereinshütte die Sicht und bedeute für deren Küche übermächtige Konkurrenz.
Trotz aller Emotionen wirkt Anita Stangl, Sprecherin der Interessengemeinschaft Bürgerinitiativen Innsbruck, auffallend gelassen. Erst in der Vorwoche hatten sie und ihre Mitstreiter mit mehr als 2000 Stimmen die nötige Hürde zur Einleitung einer stadtweiten Befragung genommen. Doch am 11. Juni würde Stangl 50 Prozent der Stimmen aller Innsbrucker Wahlberechtigten benötigen, um sich im Rathaus Gehör verschaffen zu können. „Das ist unmöglich und das weiß auch hier jeder. Der Riesenaufwand ist im Grunde völlig umsonst.“Und er kostet rund 200.000 Euro.
Während es sich in der Tiroler Landeshauptstadt um eine „Abstimmung über eine Bürgerinitiative“handelt, wird am selben Tag in St. Andrä am Zicksee im burgenländischen Seewinkel eine waschechte Volksabstimmung abgehalten. Mit der bundesweiten Volksabstimmung, die es bis dato nur zwei Mal gab (AKW Zwentendorf 1978, EUBeitritt 1994), hat sie nicht viel gemeinsam. Alle Wahlberechtigten der 1400-Seelen-Kommune sind aufgerufen, sich mit Ja oder Nein zum Bau eines orthodoxen Klosters zu äußern. Pikantes Detail am Rande: Die Entscheidung darüber ist längst gefallen. Denn die orthodoxe Kirche hat sich von dem Projekt distanziert. Gegner des Klosters hatten zweieinhalb Jahre lang alles dafür getan, dass sich die Geistlichen mit einiger Verärgerung vom Standort St. Andrä anwandten.
So sinnlos der Urnengang für die Seewinkler am 11. Juni auch sein mag, so sinnvoll ist das Instrument einer Volksabstimmung innerhalb einer Gemeinde grundsätzlich: „Dem Gemeindevolk wird dadurch die Möglichkeit eröffnet, Entscheidungen des Gemeinderats zu überstimmen“, erklärt Verfassungsrechtsexperte Bernd-Christian Funk. Dieses Prinzip könnte im Grunde überall in Österreich gelten. Tut es aber nicht. „Schuld“daran ist der Artikel 117 der Bundesverfassung. Dessen Absatz 8 ist nämlich eine klassische Kann-Bestimmung. „Das heißt, dass die Detailregelung an die Gemeindeordnungen und Stadtstatuten delegiert wird. Da kann es große Unterschiede geben“, sagt Funk.
Eine Volksabstimmung über die Patscherkofelbahn wäre in Tirol nicht möglich. Eine solche ist im „Heiligen Land“nur dann vorgesehen,
„Die Hürden sind bewusst hoch, weil wir der Politik lästig sind.“
wenn über Gesetze abgestimmt wird – und zwar landesweit. Ein weiterer Unterschied: Reichten in St. Andrä am Zicksee 25 Prozent der Wahlberechtigten, um eine Volksabstimmung zu initiieren, bedarf es in Tirol 7500 Unterschriften – weit mehr, als die meisten Gemeinden an Einwohnern zählen.
Für Anita Stangl von der Innsbrucker Bürgerinitiative steht fest: „Die Hürden sind bewusst hoch, weil wir der Kommunalpolitik lästig sind.“Verfassungsrechtler Funk widerspricht: „Es betrifft ja Interessen der gesamten Bevölkerung, da hat es eine gewisse Logik, dass eine Entscheidung diesen Prozentsatz an Wahlberechtigten erfordert.“