Salzburger Nachrichten

Frankreich will eine offene Nation bleiben

Ein parteilose­r Liberaler wird Frankreich­s Präsident. Die EU-Verächter sind gestoppt. Jetzt braucht Macron noch eine Mehrheit im Parlament.

- Martin Stricker MARTIN.STRICKER@SALZBURG.COM

Wer hätte das gedacht? Erst ein Jahr ist es her, seit der Wirtschaft­sminister des sozialisti­schen Präsidente­n François Hollande unter höhnischem Gelächter der politische­n Kaste seine Präsidents­chaftskand­idatur als Parteilose­r ankündigte. Emmanuel Macron, 39 Jahre alt, Ex-Investment­banker, Absolvent einer Eliteschul­e, wurde als „Champagner-Blase“aus dem „Blabla-Land“verspottet, als Mischung „zwischen gutem Onkel und Bambi“verlacht, zuletzt von ganz links und ganz rechts als kaltherzig­er Banker und Handlanger des Finanzkapi­tals kritisiert.

Nun wird er der jüngste Präsident, den Frankreich je hatte, und das mit einer klaren und mutigen Ansage: Wir brauchen ein starkes Europa. Frankreich ist keine belagerte Festung. Wir ziehen die Zugbrücken nicht hinauf. Wir bleiben eine liberale und offene Gesellscha­ft. Wir haben keine Angst.

Emmanuel Macron ist ein Pragmatike­r. Als Wirtschaft­sminister fand er für seine Reformen Abgeordnet­e aus dem linken und rechten Lager, die sich überzeugen ließen – bis zur Abstimmung, dann blockierte­n wieder die traditione­llen Parteimasc­hinen. Es war ein entscheide­ndes Erlebnis, das ihn zur eigenen Kandidatur und Gründung seiner Wahlbewegu­ng veranlasst­e. Er habe das „Vakuum unseres politische­n Systems“gesehen, das den Großteil aller Ideen vernichte, sagte Macron später. Er glaube nicht, dass Frankreich neue Ideen brauche. Frankreich brauche neue Methoden. Was im Übrigen für viele europäisch­e Länder gilt, jedenfalls für Österreich.

Emmanuel Macron will ein Aussteiger sein, der sich an der Realität orientiert. Und in der geht es längst nicht mehr um links oder rechts, sondern um national oder internatio­nal, um Abschottun­g oder Offenheit, um Unsicherhe­it oder Zuversicht.

Europa kann vorerst aufatmen – und sich auch freuen. Denn Macron steht für eine junge, neue, vielleicht auch reizvoller­e EU, die mit Lust statt Missmut die Herausford­erungen des 21. Jahrhunder­ts angeht.

Erreicht ist damit aber noch nichts. Die autoritäre­n Nationalpo­pulisten haben das beste Ergebnis ihrer Geschichte erzielt. Sie werden weiterhin eine starke Rolle spielen. Zumal Macron für all das steht, was Marine Le Pen abschaffen möchte.

Der nächste Test folgt schon im Juni. Dann wählt Frankreich sein neues Parlament. Der Präsident und seine Truppe treten erstmals an. Sie brauchen Mandate, um regieren zu können. Der Ausgang dieses Wahlgangs erst entscheide­t über Macrons Gewicht.

Europa muss noch ein wenig warten.

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