Nur die Demokratie könnte sich selbst abschaffen
Erdoğan, Putin, Orbán, Kaczyński belegen durch ihre Politik, dass die größte Gefahr für die Demokratie in demokratischen Prozessen schlummert.
Hin und wieder tut es not, in Erinnerung zu rufen, was kluge Menschen schon vor langer Zeit festgestellt haben. Winston Churchill hat den Nagel auf den Kopf getroffen, als er am 11. November 1947 im Unterhaus feststellte: „Niemand behauptet, die Demokratie sei perfekt oder allwissend. Tatsächlich sagen manche, dass Demokratie die schlechteste Regierungsform ist, abgesehen von allen Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind.“
Es ist noch gar nicht so lange her, da musste man fürchten, die demokratisch legitimierten Regierungen der Welt seien in Gefahr durch die Macht der großen internationalen Konzerne. Denn diese schufen und schaffen immer noch Tatsachen, die Regierungen rund um den Erdball zwingen, ihr Handeln nicht nur an den Interessen der Bürgerinnen und Bürger zu orientieren, sondern nur allzu oft an den Interessen großer Wirtschaftskörper. In jüngster Zeit dokumentierte der Konflikt um die großen Handelsabkommen Europas mit Kanada oder den USA die Sorge, dass die großen internationalen Player über Gebühr Einfluss auf die nationale Gesetzgebung erhalten könnten, wenn CETA oder TTIP in der vorgesehenen Form beschlossen würden.
Tatsächlich droht der Demokratie, vor allem der repräsentativen Demokratie, von einer ganz anderen Seite weit größeres Ungemach. Ja sie ist drauf und dran, den Ruf zu verlieren, sie sei der einzige Garant eines friedlichen Interessenausgleichs zwischen unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen und deren Bedürfnissen.
Die Demokratie kommt gleich von zwei Seiten unter massiven Beschuss: von Politikern und von Bürgerinnen und Bürgern.
Die Demokratie gerät ins Feuer einer jungen Generation, die das Vertrauen in diese Regierungsform verloren hat und sie deshalb ablehnt, wiewohl sie nicht weiß, was an ihre Stelle treten sollte oder könnte. Eine Umfrage unter immerhin 6000 jungen Menschen in den bevölkerungsreichsten EU-Staaten (im Alter von 16 bis 26 Jahren, das sind also die sogenannten Millennials) ergab, dass nur noch eine knappe Mehrheit die Demokratie für die richtige Regierungsform hält. In Österreich wünschen sich gut 40 Prozent der Befragten einen „starken Mann“an der Spitze des Staates. Und das, obwohl in Geschichtsbüchern und in der aktuellen Berichterstattung hinreichend Gelegenheit wäre, das unselige Wirken „starker Männer“zu studieren. Sie führen ihre Staaten ausnahmslos in wirtschaftliche Schwierigkeiten, in Konflikte mit den Nachbarn. „Starke Männer“ignorieren die Bedürfnisse ihrer Wähler noch weit mehr als demokratisch kontrollierte Machthaber, die irgendwann auch der politischen Konkurrenz weichen müssen.
Andererseits missbrauchen Politiker die Macht, die ihnen die Wähler geliehen haben, um ihre Position zu verfestigen. Obwohl sie durch demokratische Wahlen die Legitimation zum Regieren erhalten haben, wollen sich diese Politiker nur höchst ungern mit dem Gedanken anfreunden, dass Demokratie auch den Wechsel an der Macht bedeutet und damit Machtverlust. Und den wollen sie so lange wie möglich hinauszögern oder völlig verhindern.
Leute wie Viktor Orbán, Recep Tayyip Erdoğan, Wladimir Putin und Jarosław Kaczyński benutzen ihr Mandat dazu, ihre Staaten nach eigenem Geschmack umzubauen mit dem Ziel, die politische Konkurrenz nie wieder an die Macht zu lassen. Das demagogische Meisterstück hat der türkische Präsident Erdoğan abgeliefert. Er hat es geschafft, sich durch die demokratischste Form der Bürgerbeteiligung, die Volksabstimmung, zum autoritären Alleinherrscher zu machen.
Dies sollte auch jenen zu denken geben, die alle paar Wochen nach einer Volksabstimmung über dieses und jenes rufen. Der Anspruch, die direkte Demokratie sei der repräsentativen Demokratie überlegen, stimmt nur bedingt. Die Gefahr des Missbrauchs ist erheblich, wie man an der doch recht knappen Entscheidung der Briten über den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union sehen kann. Dieses Referendum wurde nicht abgehalten, um dem Volk eine Stimme zu geben, sondern aus dem politischen Kalkül David Camerons, dass er nur so die Hinterbänkler seiner eigenen Partei ruhigstellen könne. Zudem wurde das Ergebnis definitiv durch recht freche Lügen der Brexit-Befürworter beeinflusst.
Die Demokratie scheint die einzige Regierungsform zu sein, die in der Lage ist, sich selbst abzuschaffen. Wenn die Bürger das erkannt haben, ist es meist schon zu spät, um das Steuer wieder herumzureißen.