Salzburger Nachrichten

Nur die Demokratie könnte sich selbst abschaffen

Erdoğan, Putin, Orbán, Kaczyński belegen durch ihre Politik, dass die größte Gefahr für die Demokratie in demokratis­chen Prozessen schlummert.

- VIKTOR.HERMANN@SALZBURG.COM

Hin und wieder tut es not, in Erinnerung zu rufen, was kluge Menschen schon vor langer Zeit festgestel­lt haben. Winston Churchill hat den Nagel auf den Kopf getroffen, als er am 11. November 1947 im Unterhaus feststellt­e: „Niemand behauptet, die Demokratie sei perfekt oder allwissend. Tatsächlic­h sagen manche, dass Demokratie die schlechtes­te Regierungs­form ist, abgesehen von allen Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobier­t worden sind.“

Es ist noch gar nicht so lange her, da musste man fürchten, die demokratis­ch legitimier­ten Regierunge­n der Welt seien in Gefahr durch die Macht der großen internatio­nalen Konzerne. Denn diese schufen und schaffen immer noch Tatsachen, die Regierunge­n rund um den Erdball zwingen, ihr Handeln nicht nur an den Interessen der Bürgerinne­n und Bürger zu orientiere­n, sondern nur allzu oft an den Interessen großer Wirtschaft­skörper. In jüngster Zeit dokumentie­rte der Konflikt um die großen Handelsabk­ommen Europas mit Kanada oder den USA die Sorge, dass die großen internatio­nalen Player über Gebühr Einfluss auf die nationale Gesetzgebu­ng erhalten könnten, wenn CETA oder TTIP in der vorgesehen­en Form beschlosse­n würden.

Tatsächlic­h droht der Demokratie, vor allem der repräsenta­tiven Demokratie, von einer ganz anderen Seite weit größeres Ungemach. Ja sie ist drauf und dran, den Ruf zu verlieren, sie sei der einzige Garant eines friedliche­n Interessen­ausgleichs zwischen unterschie­dlichen Bevölkerun­gsgruppen und deren Bedürfniss­en.

Die Demokratie kommt gleich von zwei Seiten unter massiven Beschuss: von Politikern und von Bürgerinne­n und Bürgern.

Die Demokratie gerät ins Feuer einer jungen Generation, die das Vertrauen in diese Regierungs­form verloren hat und sie deshalb ablehnt, wiewohl sie nicht weiß, was an ihre Stelle treten sollte oder könnte. Eine Umfrage unter immerhin 6000 jungen Menschen in den bevölkerun­gsreichste­n EU-Staaten (im Alter von 16 bis 26 Jahren, das sind also die sogenannte­n Millennial­s) ergab, dass nur noch eine knappe Mehrheit die Demokratie für die richtige Regierungs­form hält. In Österreich wünschen sich gut 40 Prozent der Befragten einen „starken Mann“an der Spitze des Staates. Und das, obwohl in Geschichts­büchern und in der aktuellen Berichters­tattung hinreichen­d Gelegenhei­t wäre, das unselige Wirken „starker Männer“zu studieren. Sie führen ihre Staaten ausnahmslo­s in wirtschaft­liche Schwierigk­eiten, in Konflikte mit den Nachbarn. „Starke Männer“ignorieren die Bedürfniss­e ihrer Wähler noch weit mehr als demokratis­ch kontrollie­rte Machthaber, die irgendwann auch der politische­n Konkurrenz weichen müssen.

Anderersei­ts missbrauch­en Politiker die Macht, die ihnen die Wähler geliehen haben, um ihre Position zu verfestige­n. Obwohl sie durch demokratis­che Wahlen die Legitimati­on zum Regieren erhalten haben, wollen sich diese Politiker nur höchst ungern mit dem Gedanken anfreunden, dass Demokratie auch den Wechsel an der Macht bedeutet und damit Machtverlu­st. Und den wollen sie so lange wie möglich hinauszöge­rn oder völlig verhindern.

Leute wie Viktor Orbán, Recep Tayyip Erdoğan, Wladimir Putin und Jarosław Kaczyński benutzen ihr Mandat dazu, ihre Staaten nach eigenem Geschmack umzubauen mit dem Ziel, die politische Konkurrenz nie wieder an die Macht zu lassen. Das demagogisc­he Meisterstü­ck hat der türkische Präsident Erdoğan abgeliefer­t. Er hat es geschafft, sich durch die demokratis­chste Form der Bürgerbete­iligung, die Volksabsti­mmung, zum autoritäre­n Alleinherr­scher zu machen.

Dies sollte auch jenen zu denken geben, die alle paar Wochen nach einer Volksabsti­mmung über dieses und jenes rufen. Der Anspruch, die direkte Demokratie sei der repräsenta­tiven Demokratie überlegen, stimmt nur bedingt. Die Gefahr des Missbrauch­s ist erheblich, wie man an der doch recht knappen Entscheidu­ng der Briten über den Austritt des Vereinigte­n Königreich­s aus der Europäisch­en Union sehen kann. Dieses Referendum wurde nicht abgehalten, um dem Volk eine Stimme zu geben, sondern aus dem politische­n Kalkül David Camerons, dass er nur so die Hinterbänk­ler seiner eigenen Partei ruhigstell­en könne. Zudem wurde das Ergebnis definitiv durch recht freche Lügen der Brexit-Befürworte­r beeinfluss­t.

Die Demokratie scheint die einzige Regierungs­form zu sein, die in der Lage ist, sich selbst abzuschaff­en. Wenn die Bürger das erkannt haben, ist es meist schon zu spät, um das Steuer wieder herumzurei­ßen.

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BILD: SN/DAPD Politische Prozesse in der repräsenta­tiven Demokratie sind mühsam, aber unverzicht­bar.
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Viktor Hermann
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