Im Selfie zerfließt das wahre Ich
Wer bestimmt, was wahr ist? Drei Künstler greifen die Frage auf, indem sie mit YouTube-Clips und Selfie-Ästhetik arbeiten.
Wie man sich im Netz beliebt macht? Die Kunst beherrschte Amalia Ulman schnell. Fast 100.000 Nutzer verfolgten regelmäßig ihre Einträge auf der FotoPlattform Instagram und bestaunten die Selfies, die sie ohne Unterlass online stellte. Kein Wunder, entsprachen sie doch genau den (Frauen-)Bildern, die in der Welt der sozialen Medien begehrt sind: Als Unschuld vom Land war sie da zuerst zu sehen, später als GlamourGirl, das sogar nach der kosmetischen Brust-OP erst einmal zum Smartphone griff, um den frischen Verband gleich allen zu zeigen.
Wenig später waren ihre OnlineFreunde bitter enttäuscht. Dafür waren Museen und Galerien begeistert, als Ulman verkündete, dass alle Bilder, die sie gepostet und alle Selfie-Posen, in die sie sich geworfen hatte, Teile eines Kunstprojektes waren. Die Identitäten, die sie in ihren Selbstporträts verkörpert hatte, waren frei erfunden.
Mit ihren Verwirrspielen im Netz hatte sie die Frage aufgeworfen, welchen Wert Echtheit in der Ära der sozialen Medien überhaupt noch hat. Als vielleicht „erstes großes Instagram-Meisterwerk“bezeichnete der britische „Telegraph“Ulmans Kunstprojekt, als die renommierte Londoner Tate Modern Galerie die Bilder in eine große Porträt-Schau aufnahm.
Derzeit sind neuere Arbeiten Ulmans im Salzburger Kunstverein zu sehen. „Floating Self“heißt die Ausstellung, die Fragen nach der Wandelbarkeit von Identität in der Gegenwart von Facebook und Co. stellt. Besucher können diese Fragen auch gleich an sich selbst richten: Der Eingangsbereich ist zur Gänze verspiegelt.
Wenn Ulman mit der Ästhetik narzisstischer Selfies spiele, werde eine Leere sichtbar, erläuterte Kunstvereins-Direktor Séamus Kealy. Statt einer Persönlichkeit könne man „einen schwarzen Fleck“erkennen. Nach dem Wert von Wahrheit will die Schau aber auch in einem anderen Kontext fragen: Die Debatte, wer bestimmt, was wirklich ist, bekam beispielsweise mit der US-Wahl im Vorjahr und mit Schlagwörtern wie „postfaktisch“und „fake news“neue Aktualität.
In den Arbeiten von Rabih Mroué überlagern sich die (Bild-)Wirklichkeiten zu vielschichtigen Collagen. Um Krieg gehe es in seiner Arbeit immer, sagt der Künstler aus dem Libanon.
Statt neue Bilder zu produzieren, verwendet er, was er vorfindet: „Wir werden ohnehin täglich mit Bildern bombardiert.“Im Kunstverein sind seine „Black Boxes“zu sehen, ein „Duo for Two Missing Persons“oder tagebuchartige Bilder, die von Fundstücken aus zertrümmerten Häusern inspiriert sind. Sie geben einen starken Kontrast ab zu den Bildern von Rosa Rendl, die Kultobjekte der Konsumwelt von iPhone bis Fendi-Parfüm zu großen Porträts stilisiert.