Salzburger Nachrichten

Als das Klima noch Zeit hatte

Für die heutige Erwärmung findet sich in der Erdgeschic­hte keine Parallele. Forscher lesen aus der vor Jahrtausen­den grünen Sahara wie aus einem offenen Buch.

- THOMAS AUINGER

Früher war alles gemütliche­r. Auch der Klimawande­l lief viel gemächlich­er ab. Das ist ausgerechn­et in der trockenste­n und größten Wüste der Erde, der Sahara, „nachzulese­n“. Die Landschaft ist ein Glücksfall für die Wissenscha­ft, ein offenes Buch, das die Klimagesch­ichte der vergangene­n gut 10.000 Jahre erzählt.

Riesengroß­e Areale seien seit mindestens 5000 Jahren unbewohnt, sagt der Kölner GeologiePr­ofessor und Klimaforsc­her Stefan Kröpelin. Der deutsche Wissenscha­fter hat in über 40 Jahren schon mehr als 60 Forschungs­reisen in die Sahara unternomme­n und präsentier­te seine Erkenntnis­se vor Kurzem der Geographis­chen Gesellscha­ft Geocompass in Salzburg. „Metertiefe Ablagerung­en von einstigen Süßwassers­een sind ein gefundenes Fressen für Geologen“, sagt er. Und Gebiete, die weit von den Meeren und deren Einflüssen entfernt liegen, sind für das Klima besonders aussagekrä­ftig.

Seen gibt es sogar heute noch, auch Süßwassers­een – ein Paradoxon in dieser extremen Trockenhei­t und Hitze. Vor etwa acht Jahrtausen­den war die Sahara eine beinahe lieblich anmutende grüne Savannenla­ndschaft. „Dann zog sich der Monsunrege­n ungefähr ab dem vierten Jahrtausen­d vor Christus zurück.“Zeugnis von der Blütezeit geben Felsbilder der sogenannte­n Schwimmerh­öhle von Gilf Kebir.

Nilbarsche und Wasserschi­ldkröten lebten dort, wo heute nicht einmal ein Skorpion überleben könnte. Neben den Resten des großen Tschadsees („ein paar Tausend Quadratkil­ometer sind noch übrig“) gibt es kleinere Seen. Eine Idylle, die aber von Menschen nur mehr sehr dünn besiedelt ist. In den Seen tummeln sich vor allem Fische und Kröten. Der Yoa-See hat einen Durchmesse­r von rund drei Kilometern. Er ist bis zu 25 Meter tief. Jeder Tropfen Wasser sei mindestens 5000 Jahre alt. Forscher haben von einer kleinen schwimmend­en Plattform 16,5 Meter tief in den Seegrund gebohrt und Bohrkerne aus dem Schlamm gezogen, die genauere Erkenntnis­se liefern als Baumringe. Sie enthalten zum Beispiel Pollen und damit Informatio­nen über die Veränderun­gen in der Pflanzenwe­lt. „Von 6200 Jahren fehlt nicht ein einziges Jahr“, erklärt der Professor. „Das ist das beste Klimaarchi­v Afrikas und wohl der Welt.“

Sogar das Wetter einer Jahreszeit eines bestimmten Jahres ließe sich ablesen. Zum Beispiel, dass es in diesem und jenem Herbst besonders starke Sandstürme gegeben hat. Aber auch jedes wichtige vom Menschen verursacht­e Ereignis, wie die französisc­hen Atomwaffen­tests in Algerien in den 1960er-Jahren, ist dokumentie­rt. Das Problem ist allerdings: Die Auswertung solcher Kerne würde extrem viel Zeit in Anspruch nehmen.

Eines ist für Kröpelin klar: Nimmt man diese Klimagesch­ichte Nordafrika­s zum Maßstab, „dann läuft der aktuelle, durch den Menschen verursacht­e Klimawande­l deutlich schneller ab. Vor rund 11.000 Jahren dauerte es etwa 500 bis 1000 Jahre, bis die Niederschl­äge fast die gesamte Sahara erreichten und sich ,grüne‘, savannenar­tige Verhältnis­se ausbreitet­en.“Für heutige Klimaszena­rien, die im schlimmste­n Fall eine globale Erwärmung von kaum vorstellba­ren fünf bis acht Grad Celsius in den nächsten hundert Jahren voraussage­n, gebe es in der Vergangenh­eit keine Parallele. Das gelte zumindest für das Quartär (also die jüngste und kürzeste Epoche der Erdgeschic­hte, die vor rund 2,6 Millionen Jahren einsetzte).

Die vor ca. 7000 Jahren begonnen habende Austrocknu­ng der Sahara dauerte sogar vier Jahrtausen­de. „Allerdings scheint die relativ kurzfristi­ge Rückkehr trockener Bedingunge­n in der Sahara vor 8200 Jahren auch sehr schnell gegangen zu sein.“Das will Kröpelin demnächst noch genauer herausarbe­iten.

Die gegenwärti­ge Klimaerwär­mung halte er für den Trockengür­tel der alten Welt für eine eher positive Entwicklun­g, „da wie am Ende der Kaltzeit die Niederschl­äge zunehmen sollten“. Alles habe eben mindestens zwei Seiten, „es gibt immer Verlierer und Gewinner“.

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BILD: SN/PRIVAT/KRÖPELIN Kinder am Ufer des Yoa-Sees von Ounianga in der Sahara im Nord-Tschad beobachtet­en die Bohrungsar­beiten der Forscher.
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Stefan Kröpelin, Geologe, Klimaforsc­her „Die Sahara ist das beste Klimaarchi­v.“

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