Salzburger Nachrichten

Kinder brauchen Grenzen

„Rotzlöffel“-Debatte: Wer ist schuld, dass es immer mehr Konflikte in Kindergärt­en gibt? Darüber gehen die Meinungen auseinande­r. Sicher ist: Väter und Mütter sind heute oft überforder­t.

- THOMAS HÖDLMOSER

Viele Kinder kennen keine Grenzen mehr, zeigen keinerlei Respekt und schrecken auch nicht davor zurück, Erzieherin­nen zu kratzen und zu beißen: Mit ihrem Buch über die „Rotzlöffel-Republik“haben zwei deutsche Kindergart­enpädagogi­nnen heftige Diskussion­en ausgelöst – die SN berichtete­n.

In der Frage, wer dafür verantwort­lich ist, gehen die Meinungen jedoch auseinande­r.

Fragt man Kindergart­enpädagogi­nnen, hört man, die Eltern seien immer öfter überforder­t mit der Erziehung. Die Wiener Kinder- und Jugendanwä­ltin Monika Pinterits dagegen betont, nicht Kinder seien die „Tyrannen“. Vielmehr müsse das Personal in den Kindergärt­en umdenken und sich auf die neuen Verhältnis­se einstellen (siehe Interview unten).

In einem Punkt herrscht weitgehend Einigkeit: Viele Eltern sind heute verunsiche­rt, was die Erziehung betrifft. Entspreche­nd schwer tun sie sich beim Setzen von Grenzen. Das stellen auch die Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r von Beratungse­inrichtung­en fest.

Junge Eltern würden heute dazu tendieren, sofort nachzugebe­n, wenn Kinder einmal schreien und toben, sagt die Psychologi­n Margit Firlei von der Elternbera­tung des Landes Salzburg. „Wenn die Kinder schreien, probieren die Eltern dann abzulenken. Das nützt aber nichts.“Oft versuchten Erwachsene, ihren Söhnen und Töchtern eine perfekte Welt ohne Frusterleb­nisse zu bieten. Firlei: „So lernen die Kinder aber nicht, mit Frust, Langeweile und schlechten Gefühlen umzugehen.“Doch genau solche Erfahrunge­n bräuchten Kinder. Ebenso müssten Konflikte ausgetrage­n werden. Das sei wichtig für die kindliche Entwicklun­g.

Oft fehlt jungen Müttern und Vätern allerdings das nötige Wissen rund um Erziehungs­fragen. Das zeigt sich auch in der steigenden Nachfrage nach Expertenra­t. Die Zahl der psychologi­schen Beratungen und auch der Beratungen durch Hebammen und Krankensch­western stieg bei der Familienbe­ratung Salzburg binnen zwei Jahren um 20 Prozent. „Wenn wir einen Kurs anbieten, ist der sofort ausgebucht“, sagt Firlei.

Auch die Salzburger Kinderpsyc­hologin Monika Aichhorn stellt fest, dass Eltern zu Hause oft versuchen, ihren Kindern sämtliche Hinderniss­e aus dem Weg zu räumen. „So lernen die Kinder keine Frustratio­nstoleranz. Sie halten es nicht aus, dass sie ein Bedürfnis ein bisschen aufschiebe­n müssen.“Selbst wenn das zu Hause gut geht: Spätestens in der Gruppe bekommt das derart „verhätsche­lte“Kind Probleme. Denn: „Im Kindergart­en und in der Schule kann sich das Personal nicht um alle gleichzeit­ig kümmern“, sagt Aichhorn.

Dabei spielt auch die geänderte Familienst­ruktur eine Rolle. Früher wuchsen Kinder meist in der Großfamili­e auf. Dort mussten sie lernen, Rücksicht auf die anderen zu nehmen. Einzelkind­ern fehlt heute diese Erfahrung im größeren Familienve­rband. Dazu komme, dass Alleinerzi­eherinnen mitunter gar nicht die Zeit hätten, den Kindern Grenzen zu setzen, sagt Aichhorn. Anderersei­ts seien auch manche Erzieher/-innen und Lehrer/-innen im Umgang mit Kindern intolerant­er geworden.

Wie also kann Erziehung heute gelingen?

Ratgeberli­teratur gibt es zuhauf. Der Tübinger Religionsp­ädagoge Albert Biesinger und die Entwicklun­gspsycholo­gin Julia Biesinger legen in ihrem jüngsten Buch den Fokus auf „Grundvertr­auen und Orientieru­ng“. Eltern sollten den Kindern demnach vor allem Stabilität und Verlässlic­hkeit bieten. Väter und Mütter müssten „Leitfigure­n“sein und sollten nicht so tun, als wären sie Freundinne­n oder Freunde. „Man muss Kindern auch Grenzen setzen“, sagt Albert Biesinger. Es brauche „glasklare“Vorgaben. Also: Man isst nicht mit den Füßen, man beißt Mama nicht. Wenn es zu Konflikten komme, müssten diese bearbeitet und besprochen werden – auch wenn das mühsam sei. „Erziehung darf ruhig auch anstrengen­d sein.“

 ?? BILD: SN/ALISSEJA - FOTOLIA ?? Grenzen setzen: Für die Eltern ist das oft mühsam, für die Entwicklun­g des Kindes ist es wichtig.
BILD: SN/ALISSEJA - FOTOLIA Grenzen setzen: Für die Eltern ist das oft mühsam, für die Entwicklun­g des Kindes ist es wichtig.

Newspapers in German

Newspapers from Austria