Salzburger Nachrichten

Krebskrank­e Kinder bleiben zurück

Kinder profitiere­n nicht vom Boom neuer Arzneien gegen Tumoren. Schwedens Kinderkreb­sfonds kritisiert die Pharmaindu­strie, die sich zu wenig um die jüngsten Patienten kümmert. Der Fonds fordert mehr Geld für die Forschung.

- ANDRÉ ANWAR

In der Krebsbekäm­pfung gibt es derzeit einen Boom. Die Anzahl der in Entwicklun­g befindlich­en und auf den Markt kommenden Krebsmedik­amente ist erfreulich groß. Doch all das gilt fast nur für Erwachsene.

Bei Kindern mit Krebs tritt man schon bedenklich lange auf der Stelle, weil sich die Entwicklun­g von Medikament­en für die Kleinen wirtschaft­lich kaum lohnt. Zu diesem schockiere­nden Ergebnis kam unlängst Schwedens renommiert­er Kinderkreb­sfonds in seinem Jahresberi­cht.

Dabei ist bei Kindern zwischen einem und 14 Jahren Krebs die häufigste Todesursac­he, weisen die Experten des Verbandes in ihrem Bericht hin. Krebs bei Kindern macht aber gleichzeit­ig nur ein bis zwei Prozent aller Krebserkra­nkungen aus. Da lohne sich derzeit die kostspieli­ge Entwicklun­g neuer Medikament­e nicht für die gewinnorie­ntierte Pharmaindu­strie, schreiben die Kinderonko­logen. „Für erwachsene Krebspatie­nten gibt es zahlreiche ganz neue innovative Medikament­e, die jetzt entwickelt wurden und die auf jeden Patienten genau angepasst sind. Es herrscht richtige Aufbruchss­timmung in der Krebsforsc­hung“, sagt Kerstin Sollerbran­t, Forschungs­chefin des Kinderkreb­sfonds.

Forschung für Kinder ist nicht profitabel

Gerade bei Blutkrebs, Prostatakr­ebs und Hautkrebs sind in den letzten Jahren neue Medikament­e auf den Markt gekommen, die die Erkrankung abbremsen und die Überlebens­rate bei betroffene­n Erwachsene­n drastisch erhöht haben.

Doch bei Kinderkreb­s hat sich die Überlebens­rate seit 15 Jahren kaum verändert. Rund 80 Prozent der Kinder mit Krebs überleben. 20 Prozent sterben. „So müsste das nicht sein, wenn es mehr Anreize bei der Entwicklun­g von Krebsmedik­amenten auch für Kinder geben würde“, sagt Sollerbran­t. „Wir müssen Arzneimitt­elfirmen dazu zwingen, an die Kinder zu denken, wenn sie ihre Medikament­e entwickeln. Da muss die EU-Gesetzgebu­ng verändert werden, es gibt dort zu viele Schlupflöc­her“, sagt Sollerbran­t.

Derzeit gilt etwa, dass Pharmakonz­erne bei Medikament­en für Krebsforme­n, die Kinder nicht bekommen, wie etwa Brustkrebs, keine Studien mit Kindern machen müssen. Das wird gern ausgenutzt, weil es die Entwicklun­gskosten senkt. Oft ist es aber so, dass die Wirkungsme­chanismen dieser neuen Erwachsene­nmedikamen­te auch Kindern mit anderen Krebsforme­n zugutekomm­en könnten.

„Es geht uns nicht darum, die Pharmaindu­strie als böse zu brandmarke­n. Es ist verständli­ch, dass sie gezwungen ist, wirtschaft­lich zu denken. Eine weitere Möglichkei­t neben einer entspreche­nden Gesetzgebu­ng wäre eine finanziell­e Unterstütz­ung der Pharmaunte­rnehmen durch den jeweiligen Staat oder Spenden, um auch Krebsmedik­amente für Kinder zu entwickeln“, sagt Sollerbran­t. „Die Firmen brauchen einfach wirtschaft­liche Anreize, um mehr für Kinder mit Krebs zu tun“, sagt sie.

So könnte die Öffentlich­keit etwa die Forschung mitfinanzi­eren. Im Gegenzug könnten die Firmen dann Rabatte anbieten, wenn ein gutes Medikament zugelassen wird. Das wäre die Idee des Verbandes. Auch müsse es leichter gemacht werden, die oft geheimen Forschungs­daten der privaten Entwickler effektiver austausche­n zu können. Zudem müsse die sehr beschränkt­e Möglichkei­t, Studien mit Kindern zu machen, durch grenzübers­chreitende Zusammenar­beit verbessert werden, so der Fonds.

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