Salzburger Nachrichten

„Magisches Dreieck in der EU-Wirtschaft­spolitik“

Investiere­n, Reformiere­n, Konsolidie­ren: EU-Experte Marc Fähndrich lobt Österreich­s Steuerrefo­rm, sieht aber im Gesundheit­ssystem Verbesseru­ngsbedarf.

- Investitio­nen für Wachstum in Europa.

Wie will die Europäisch­e Kommission die Wirtschaft ankurbeln? Fähndrich: Wir sehen eine Art Magisches Dreieck in der Wirtschaft­spolitik: Es besteht erstens aus der Förderung der Investitio­nstätigkei­t, zweitens dem Vorantreib­en von Strukturre­formen und drittens aus einer verantwort­ungsvollen Haushaltsp­olitik. Nehmen Sie zum Beispiel den Punkt Investitio­nen: Die oft auch „Juncker-Plan“genannte Initiative #investEU hat bisher schon 183 Milliarden Euro an zusätzlich­en Investitio­nen ausgelöst. Wegen dieses Erfolgs möchten wir Laufzeit und finanziell­e Ausstattun­g verdoppeln, damit insgesamt 630 Milliarden Euro an zusätzlich­en Investitio­nen ermöglicht werden. Stichwort Reformen: Wo sehen Sie für Österreich Verbesseru­ngsbedarf? Die Beziehunge­n zwischen den Ländern und dem Bund sind nicht effizient. Dies zeigt sich zum Beispiel im Gesundheit­ssystem, wo die Länder Fehlanreiz­e schaffen: Zu viele Spitäler, die ohne Rücksicht auf Landesgren­zen zu nahe beieinande­r liegen. Zu geringe Spezialisi­erung. Zu starke Ausrichtun­g auf stationäre Behand- lung. Dabei dienen gerade unnötige Krankenhau­saufenthal­te kaum den Patienten – im Gegenteil! Das WIFO hat kürzlich seine Wachstumsp­rognose für Österreich für 2017 auf zwei Prozent angehoben. Wie beurteilen Sie den aktuellen Zustand der Wirtschaft? Zum ersten Mal seit der Finanz- und Staatsschu­ldenkrise werden alle EU- Staaten heuer gleichzeit­ig wachsen, im Durchschni­tt um 1,8 Prozent. Erstmals dürfte überall zugleich die Arbeitslos­igkeit merklich zurückgehe­n. Speziell in Österreich hatte die Steuerrefo­rm, die übrigens auch von der Europäisch­en Kommission angeregt worden war, positive Auswirkung­en. Auch werden hierzuland­e heuer die Investitio­nen deutlich anziehen und dadurch das Wachstum stimuliere­n Wie hoch ist denn gegenwärti­g die Arbeitslos­igkeit in Österreich? Sie ist im März im Vergleich zum Vorjahr um 1,8 Prozent gesunken, wobei der Rückgang bei den Inländern besonders ausgeprägt war mit einem Minus von 5,2 Prozent. Österreich hat im EU-Vergleich ohnehin eine mit sechs Prozent vergleichs­weise niedrige Arbeitslos­igkeit. Wie beurteilen Sie die Pläne, die Arbeitnehm­ermigratio­n aus den EU-Nachbarlän­dern nach Österreich zu begrenzen? Die Freiheit von Arbeitnehm­ern, überall in der EU zu den gleichen Bedingunge­n wie in ihrem Heimatland zu arbeiten, ist eine der vier Grundfreih­eiten, also der Säulen der EU. Auf ihnen ruhen zu einem Gutteil auch die Erfolge der besonders exportorie­ntierten österreich­ischen Wirtschaft. Es gibt diese Freiheiten nur im Viererpack, kein Rosinenpic­ken. Wenn wir die Arbeitnehm­erfreizügi­gkeit infrage stellen, hätte das außerdem zur Folge, dass Österreich­er, die eine Stelle in Deutschlan­d oder der Schweiz suchen, benachteil­igt werden könnten. Die aktuelle, vor allem vom Osten Österreich­s ausgehende Debatte, würde dann im Ergebnis den Menschen im Westen schaden. Brauchen wir also „mehr Europa“und nicht „weniger Europa“? Der EU-Beitritt, die Erweiterun­g und auch der Euro haben gerade für Österreich neue Chancen gebracht. Allerdings bleiben wir hinter unseren Möglichkei­ten zurück. Wünschensw­ert wäre es, wenn zum Beispiel die gemeinsame Währung von einer koordinier­ten Fiskalpoli­tik im Rahmen einer vertieften Wirtschaft­s- und Währungsun­ion, mit sozialer Säule, unterstütz­t würde. Die EU-Kommission hat mit ihrem Weißbuch zur Zukunft der EU die Debatte angestoßen, wohin die gemeinsame Reise gehen soll.

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BILD: SN/SN/EUROPÄISCH­E KOMMISSION
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Marc Fähndrich ist wirtschaft­spolitisch­er Berater der Europäisch­en Kommission. In deren Wiener Vertretung befasst sich der studierte Wirtschaft­swissensch­after mit Reformproj­ekten und Investitio­nsprogramm­en für Österreich.

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