Macron hat keine Schonfrist
Der Sieger der Präsidentenwahl in Frankreich muss jetzt danach trachten, bei der Parlamentswahl eine stabile Mehrheit für sich zu gewinnen.
Es ist ein kurzer fester Händedruck, begleitet von einem anerkennenden Blick, mit dem der noch amtierende Präsident Frankreichs seinen am Vortag gewählten Nachfolger begrüßt. Dann schreiten François Hollande und Emmanuel Macron hinüber zum Arc de Triomphe, wo sie an diesem 8. Mai, dem Feiertag zum Gedenken des Kriegsendes von 1945, einen Kranz am Grab des Unbekannten Soldaten niederlegen. Auf der Tribüne haben sich die Repräsentanten der politischen Klasse eingefunden. Hände werden geschüttelt – das Bild des einigen Frankreich.
Es ist die erste offizielle Zeremonie, an welcher der gewählte Präsident traditionell schon vor seiner Amtseinführung teilnimmt. Die wird erst am 14. Mai stattfinden, einen Tag vor dem Ende von Hollandes Amtszeit. Der Verfassungsrat, der morgen, Mittwoch, das offizielle Endergebnis verkündet, wird mit wenigen Abweichungen bestätigen, was am Ende der Wahlnacht in den 69.000 Wahlbüros ausgezählt worden war: zwanzig Millionen Stimmen für Macron gegen zehn Millionen für Marine Le Pen bei zwölf Millionen Enthaltungen und vier Millionen ungültigen Wahlzetteln. Mit 66 gegen 34 Prozent der Stimmen hat der parteilose Sozialliberale Macron damit einen überwältigenden Sieg gegen die Rechtsnationalistin Le Pen errungen. Aber es ist ein Sieg, der dem neuen Präsidenten noch keine hinreichende Machtbasis für die nächsten fünf Jahre beschert. So zeigt ein Blick auf eine Karte mit den Wahlergebnissen zwar, dass Macron in 99 der 101 Departements mehr Stimmen erzielt hat als Le Pen, die in der ersten Wahlrunde am 23. April in 48 Departements vor Macron mit 41 lag. Doch das Land ist weiter gekennzeichnet von einer Teilung zwischen Stadt und Land mit einem hohen Anteil für Macron in Großstädten (90 Prozent in Paris!). Ein junges, urbanes, gut situiertes und dynamisches Frankreich steht einem anderen Frankreich gegenüber, das unter Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit, sozialem Rückstand leidet.
Bei der Siegesfeier, zu der Macron am späten Wahlabend unter den Klängen von Beethovens „Ode an die Freude“allein den Platz vor der Pyramide des Louvre zur Rednertribüne überquerte, hat er versprochen, diese beiden Frankreich wieder zusammenzuführen. „Ich will die Einheit des Volkes und unseres Landes“, versprach er und wiederholte gleich mehrmals: „Die Aufgabe ist immens.“Seine größte ist, bei den Parlamentswahlen im Juni eine Mehrheit im Palais Bourbon zu erreichen, mit der er in den nächsten fünf Jahren regieren, Gesetze durchbringen und die nötigen Reformen umsetzen kann. Die Weichen dazu muss er schon in den nächsten Tagen mit der Nominierung eines Premierministers und der Zusammenstellung einer neuen, auf 15 Minister reduzierten Regierung stellen.
Unmittelbar darauf werden die Kandidaten zur Parlamentswahl im Juni aufgestellt werden müssen. Über die Auswahl der Kandidaten für die 577 Wahlkreise will Macron selbst wachen. Etwa die Hälfte sollen neue Gesichter aus seiner Bewegung „En Marche!“sein, die andere Hälfte Politiker aus den Reihen von Sozialisten oder konservativen Republikaner, die sich ihm anschließen wollen. Dem Zentrumspolitiker Francois Bayrou, der mit ihm ein Bündnis einging, sollen Wahlkreise für dessen Partei reserviert werden.
Ob es Macron gelingt, seinen nationalen Sieg bei der Parlamentswahl in lokale Erfolge auszubauen, ist offen. Viele Wähler, die für ihn stimmten, taten das nicht, weil sie von ihm überzeugt waren, sondern weil sie Le Pen nicht wollten. Die Gegner auf der Rechten und der Linken rüsten bereits zur Revanche. Macron ist dennoch zuversichtlich: „Das hat es noch nie gegeben, dass die Franzosen bei der Parlamentswahl für das Gegenteil stimmen, was sie zuvor bei der Präsidentenwahl entschieden haben.“
Ein gespaltenes Land muss geeint werden