Song Contest: Kiew sucht den Regenbogen
Der Eurovision Song Contest hält in dieser Woche die ukrainische Hauptstadt Kiew unter Strom. Die Stadt bemüht sich um das Bild von Offenheit und Vielfalt – doch nicht immer läuft alles wie geplant.
Kritik unter dem Motto „Armut, Krieg, Eurovision“
Früher nannte man ihn „Bogen der Völkerfreundschaft“: Das Monument ist 60 Meter lang und wurde 1982 in der Nähe des Kiewer Maidans als Symbol der russisch-ukrainischen Freundschaft errichtet. Im Relief der grauen Titankonstruktion war schon immer eine Regenbogenform erkennbar.
Nun soll dieser Bogen während des Eurovision Song Contest in dieser Woche bunt erstrahlen.
Eine Werbeagentur hat im Auftrag der Kiewer Stadtverwaltung das Monument neu gestaltet, passend zum Motto des diesjährigen ESC: „Celebrate diversity“(„Vielfalt feiern“). Und einen neuen Namen bekam das Denkmal auch: „Bogen der Vielfalt“. Weil die sowjetische Konstruktion nur fünf Streifen hatte, verzichtete man, als man dem Bogen nun einen Anstrich verpasste, auf die Farben Rot und Blau. Schon diese Entscheidung sorgte für Spott im Netz. Es hieß, nicht einmal ein Regenbogen sehe in der Ukraine wie ein Regenbogen aus. Danach bekamen die Kuratoren des Projekts ernstere Probleme: Ukrainische Nationalisten attackierten die Malerarbeiten, weil sie im Regenbogen ein Symbol der LGBTIBewegung sahen. Auch die alte Bronzeskulptur, die einen ukrainischen und einen russischen Arbeiter zeigt, sah ihnen unter diesem Bogen plötzlich verdächtig nach einem schwulen Paar aus.
Die Umdeutung von Denkmälern hat Tradition in der postsowjetischen Ukraine. Schon früher gab es Diskussionen darüber, wie der Bogen sich „entkommunisieren“ließe. Von der „russisch-ukrainischen Freundschaft“ist in Kiew jedenfalls so gut wie nichts mehr zu spüren.
2014 annektierte Russland die Krim, der Krieg im Osten der Ukraine dauert schon mehr als drei Jahre. Da verwundert es nicht, dass auch der ESC als Vehikel für politische Propaganda herhalten muss.
Der ukrainische Geheimdienst hat der russischen ESC-Teilnehmerin Julia Samoilowa die Einreise verboten, weil sie 2015 auf der Krim aufgetreten ist. Nach ukrainischem Gesetz hätte sie über die Ukraine einreisen müssen. Da sie aber direkt aus Moskau auf die Krim kam, wurde gegen sie ein Einreiseverbot verhängt. Eine für die meisten Ukrainer nachvollziehbare Entscheidung: Wieso hätte man für sie eine Ausnahme machen müssen? Den Vorschlag der Europäischen Rundfunkunion (EBU), Samoilowa solle per Live-Video zugeschaltet werden, hat Russland abgelehnt.
In Kiew ist dieses Thema inzwischen schon fast vergessen. Die Stadt ist mit den Vorbereitungen beschäftigt. Im letzten Moment werden Straßen erneuert, das durch die Bauarbeiten verursachte Verkehrschaos sorgt für schlechte Laune bei den Autofahrern. Für die nächsten Wochen wird das Zentrum der Stadt gesperrt, teilweise auch das linke Ufer des Dnjepr, wo in einer Arena 42 Teilnehmer beim ESC antreten werden.
Bei einem Pressebrunch gibt sich ESC-Producer Pawlo Hryzak zuversichtlich: Man tue alles, um den Besuchern Unterhaltung auf hohem Niveau zu bieten. Auch der Rücktritt von 21 Mitarbeitern des Produktionsteams im Februar habe den Vorbereitungen nicht geschadet. „Wir haben innerhalb von 72 Stunden alle Stellen neu besetzt“, sagt Hryzak. Das Produktionsteam hatte den Rücktritt damit begründet, dass man in der Arbeit behindert werde und die Ausschreibeverfahren nicht transparent seien.
Kritik am Song Contest kommt auch von einigen ukrainischen Menschenrechtsaktivisten. Einige von ihnen informieren auf der anonymen Facebook-Gruppe „Armut, Krieg, Eurovision“über die problematischen Seiten des Events. Ihrer Meinung nach hätte man die insgesamt 20 Millionen Euro, die der Staat und die Stadt Kiew für den ESC ausgeben, für andere Zwecke gebraucht.
„Der ESC ist eine Herausforderung für in Armut lebende Bevölkerungsschichten“, sagt eine der Gründerinnen der Gruppe. So wurde etwa im Vorfeld der „Eurovision“eine Roma-Siedlung in Kiew geräumt. Die Einwohner erhielten Drohungen, laut Medienberichten besorgte ein anonymer Käufer den etwa 200 Bewohnern vorsorglich Tickets für eine Reise in Richtung ihrer Heimatstadt Uzhgorod. Die Menschen verließen die Siedlung, die daraufhin niedergebrannt wurde. „Das ist die bittere Wahrheit hinter dem Slogan ,Celebrate diversity‘“, kommentiert die Aktivistin.
Mittlerweile hat die Stadtverwaltung entschieden, den „Bogen der Vielfalt“nicht komplett in fünf bunten Farben anzustreichen und zwischen den bunten Streifen graue Abschnitte zu belassen. Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko erklärte, die grauen Stellen würde man zum Beginn des ESC noch mit einem ukrainischen Ornament bemalen. Ein symbolischer Kompromiss zwischen Vielfalt und Nationalkultur also.