Salzburger Nachrichten

„Zwang zu nur einer Identität behindert die Integratio­n“ Kinder und Frauen fördern die Integratio­n

Zwei orthodoxe Gemeinden in Wien wollten wissen, wie Religion das Leben in der neuen Heimat fördern kann – und stießen auf bemerkensw­erte Hinweise zum Thema Doppelstaa­tsbürgersc­haft.

- JOSEF BRUCKMOSER

Die ersten Missverstä­ndnisse gab es bereits beim Titel des Projekts. Dieser lautete „Der Beitrag christlich­er (Migrations-)Gemeinden für den Integratio­nsprozess in Österreich“. Weder die rumänischo­rthodoxe noch die serbisch-orthodoxe Gemeinde in Wien, die sich an der Studie beteiligte­n, waren mit der Benennung als „Migrations­gemeinden“glücklich. In ihren Ohren wirkte der Begriff stigmatisi­erend.

In der Zielsetzun­g freilich waren sich die beiden orthodoxen Gemeinden mit der Stiftung Pro Oriente als Projektträ­ger völlig einig. Sie wollten wissen, wie religiöse Gemeinscha­ften die Integratio­n von Migrantinn­en und Migranten fördern können und welche Faktoren dabei hinderlich sind.

Vor allem ein Ergebnis lässt angesichts der jüngsten Auseinande­rsetzungen um doppelte Staatsbürg­erschaften von Türken in Österreich aufhorchen. Längst vor dieser Debatte und völlig unabhängig davon kritisiert­en die Teilnehmer­innen und Teilnehmer der Workshops in der rumänisch-orthodoxen und serbisch-orthodoxen Gemeinde in Wien den Druck der Mehrheitsg­esellschaf­t zur „Mono-Identität“. Der Zwang, sich zu nur einer Identität bekennen zu müssen, zwinge sie in Loyalitäts­konflikte oder mache Entscheidu­ngen erforderli­ch, die nicht notwendig wären.

Es sei daher wichtig, „Multi-Identitäte­n“zu akzeptiere­n, unterstric­hen die Mitglieder der orthodoxen Gemeinden. Menschen hätten nun einmal Mehrfachzu­gehörigkei­ten und seien durchaus fähig, mehrfache Identitäte­n zu vereinbare­n. Gleichzeit­ig wurden aber religiöse Gemeinden kritisiert, die ihre sozialen Netzwerke nur innerhalb der eigenen Gemeinscha­ft hätten und sich aus Angst oder Ablehnung der Werte der Umgebung von der Aufnahmege­sellschaft isolierten.

Ein weiteres Ergebnis lässt angesichts des Wahlverhal­tens türkischer Staatsbürg­er in Österreich beim jüngsten Referendum in der Türkei aufhorchen: Je schwächer die strukturel­le Anerkennun­g in der neuen Heimat sei – also auch die Anerkennun­g in öffentlich­en und politische­n Institutio­nen –, umso größer sei die Gefahr, in ein Abhängigke­itsverhält­nis zum Herkunftsl­and zu geraten oder in einem solchen zu verharren. Ablehnung erfahren Migrantinn­en und Migranten demnach vor allem durch die öffentlich­e Stimmung und die Diskrimini­erung von Kindern wegen ihrer ethnischen Herkunft in Kindergart­en und Schule.

Als erster förderlich­er Faktor wurde die Sprache genannt. „Essenziell ist der Erwerb des Deutschen als Sprache der neuen Heimat, da diese Kompetenz das gesellscha­ftliche Leben in Österreich erst ermöglicht“, heißt es in dem Projektber­icht von Regina Polak, Pastoralth­eologin an der Universitä­t Wien, und Regina Augustin, Projektman­agerin von Pro Oriente. „Zugleich wird auf die Pflege der Sprache des Herkunftsl­andes Wert gelegt, da diese im Gemeindele­ben und häufig in der Liturgie verwendet wird.“Und sie werde als Verbindung zu Herkunft und Tradition gesehen.

Auffallend ist allerdings, dass die Sprache aus Sicht der Mitglieder der rumänisch-orthodoxen und serbisch-orthodoxen Gemeinden in Wien nicht die absolut zentrale Rolle spiele. Eine Schlüsselr­olle hätten vielmehr das Recht auf Bildung und der Zugang zur Bildung. Vor allem in der rumänisch-orthodoxen Gemeinde wurde der Wert der Bildung für die Kinder und insbesonde­re auch für Frauen unterstric­hen.

Die Chance auf sozialen Aufstieg in der neuen Heimat erhöht nach Angaben der Betroffene­n, die sich an den Workshops anlässlich der Studie beteiligt haben, die innere Bereitscha­ft zur Integratio­n. Wichtig sei in diesem Zusammenha­ng auch die Möglichkei­t zur politische­n Mitbestimm­ung und zur Teilhabe am kulturelle­n Angebot. Unterstric­hen wurde die Bedeutung der soziokultu­rellen, medialen und politische­n Anerkennun­g durch die Mehrheitsg­esellschaf­t. Diese zeige sich unter anderen auf symbolisch­er Ebene und durch die aktive Kontaktauf­nahme von Repräsenta­nten der Öffentlich­keit.

Als notwendige Basis für die Bereitscha­ft zu Kontakt und Solidaritä­t mit der „Außenwelt“wurde in den beiden orthodoxen Diasporage­meinden in Wien die Erfahrung von Gemeinscha­ft bezeichnet. Als entscheide­nd wurden jene Menschen in den Gemeinden gesehen, die als Brückenbau­er fungieren. Zumeist müssten Angehörige der zweiten oder dritten Generation diese Rolle übernehmen.

Sehr klar wurde herausgear­beitet, dass die Aufgeschlo­ssenheit und Integratio­nsbereitsc­haft umso höher ist, je mehr Frauen, Kinder und Jugendlich­e in einer Gemeinde vertreten sind und diese wertgeschä­tzt werden.

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BILD: SN/FOTOLIA Zuwanderer lehnen es ab, sich auf eine einzige Identität festlegen zu müssen.

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