„Zwang zu nur einer Identität behindert die Integration“ Kinder und Frauen fördern die Integration
Zwei orthodoxe Gemeinden in Wien wollten wissen, wie Religion das Leben in der neuen Heimat fördern kann – und stießen auf bemerkenswerte Hinweise zum Thema Doppelstaatsbürgerschaft.
Die ersten Missverständnisse gab es bereits beim Titel des Projekts. Dieser lautete „Der Beitrag christlicher (Migrations-)Gemeinden für den Integrationsprozess in Österreich“. Weder die rumänischorthodoxe noch die serbisch-orthodoxe Gemeinde in Wien, die sich an der Studie beteiligten, waren mit der Benennung als „Migrationsgemeinden“glücklich. In ihren Ohren wirkte der Begriff stigmatisierend.
In der Zielsetzung freilich waren sich die beiden orthodoxen Gemeinden mit der Stiftung Pro Oriente als Projektträger völlig einig. Sie wollten wissen, wie religiöse Gemeinschaften die Integration von Migrantinnen und Migranten fördern können und welche Faktoren dabei hinderlich sind.
Vor allem ein Ergebnis lässt angesichts der jüngsten Auseinandersetzungen um doppelte Staatsbürgerschaften von Türken in Österreich aufhorchen. Längst vor dieser Debatte und völlig unabhängig davon kritisierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Workshops in der rumänisch-orthodoxen und serbisch-orthodoxen Gemeinde in Wien den Druck der Mehrheitsgesellschaft zur „Mono-Identität“. Der Zwang, sich zu nur einer Identität bekennen zu müssen, zwinge sie in Loyalitätskonflikte oder mache Entscheidungen erforderlich, die nicht notwendig wären.
Es sei daher wichtig, „Multi-Identitäten“zu akzeptieren, unterstrichen die Mitglieder der orthodoxen Gemeinden. Menschen hätten nun einmal Mehrfachzugehörigkeiten und seien durchaus fähig, mehrfache Identitäten zu vereinbaren. Gleichzeitig wurden aber religiöse Gemeinden kritisiert, die ihre sozialen Netzwerke nur innerhalb der eigenen Gemeinschaft hätten und sich aus Angst oder Ablehnung der Werte der Umgebung von der Aufnahmegesellschaft isolierten.
Ein weiteres Ergebnis lässt angesichts des Wahlverhaltens türkischer Staatsbürger in Österreich beim jüngsten Referendum in der Türkei aufhorchen: Je schwächer die strukturelle Anerkennung in der neuen Heimat sei – also auch die Anerkennung in öffentlichen und politischen Institutionen –, umso größer sei die Gefahr, in ein Abhängigkeitsverhältnis zum Herkunftsland zu geraten oder in einem solchen zu verharren. Ablehnung erfahren Migrantinnen und Migranten demnach vor allem durch die öffentliche Stimmung und die Diskriminierung von Kindern wegen ihrer ethnischen Herkunft in Kindergarten und Schule.
Als erster förderlicher Faktor wurde die Sprache genannt. „Essenziell ist der Erwerb des Deutschen als Sprache der neuen Heimat, da diese Kompetenz das gesellschaftliche Leben in Österreich erst ermöglicht“, heißt es in dem Projektbericht von Regina Polak, Pastoraltheologin an der Universität Wien, und Regina Augustin, Projektmanagerin von Pro Oriente. „Zugleich wird auf die Pflege der Sprache des Herkunftslandes Wert gelegt, da diese im Gemeindeleben und häufig in der Liturgie verwendet wird.“Und sie werde als Verbindung zu Herkunft und Tradition gesehen.
Auffallend ist allerdings, dass die Sprache aus Sicht der Mitglieder der rumänisch-orthodoxen und serbisch-orthodoxen Gemeinden in Wien nicht die absolut zentrale Rolle spiele. Eine Schlüsselrolle hätten vielmehr das Recht auf Bildung und der Zugang zur Bildung. Vor allem in der rumänisch-orthodoxen Gemeinde wurde der Wert der Bildung für die Kinder und insbesondere auch für Frauen unterstrichen.
Die Chance auf sozialen Aufstieg in der neuen Heimat erhöht nach Angaben der Betroffenen, die sich an den Workshops anlässlich der Studie beteiligt haben, die innere Bereitschaft zur Integration. Wichtig sei in diesem Zusammenhang auch die Möglichkeit zur politischen Mitbestimmung und zur Teilhabe am kulturellen Angebot. Unterstrichen wurde die Bedeutung der soziokulturellen, medialen und politischen Anerkennung durch die Mehrheitsgesellschaft. Diese zeige sich unter anderen auf symbolischer Ebene und durch die aktive Kontaktaufnahme von Repräsentanten der Öffentlichkeit.
Als notwendige Basis für die Bereitschaft zu Kontakt und Solidarität mit der „Außenwelt“wurde in den beiden orthodoxen Diasporagemeinden in Wien die Erfahrung von Gemeinschaft bezeichnet. Als entscheidend wurden jene Menschen in den Gemeinden gesehen, die als Brückenbauer fungieren. Zumeist müssten Angehörige der zweiten oder dritten Generation diese Rolle übernehmen.
Sehr klar wurde herausgearbeitet, dass die Aufgeschlossenheit und Integrationsbereitschaft umso höher ist, je mehr Frauen, Kinder und Jugendliche in einer Gemeinde vertreten sind und diese wertgeschätzt werden.