Salzburger Nachrichten

Gegenverke­hr auf der Seidenstra­ße

Während der wirtschaft­liche Umbau Chinas vorangeht, drohen soziale Konflikte und streikende Arbeiter das Land zu destabilis­ieren. Das könnte auch Auswirkung­en auf das ehrgeizige Projekt der neuen Seidenstra­ße haben.

- HELMUT KRETZL

WIEN. Das Wachstum in China, der zweitgrößt­en Volkswirts­chaft der Welt hinter den USA, hat sich in letzter Zeit von zweistelli­gen Zuwachsrat­en auf eine Größenordn­ung zwischen 6 und 7 Prozent reduziert. Diese gebremste Dynamik sei gesünder, weil sie länger aufrechtzu­erhalten sei und auf eine reifere Volkswirts­chaft hindeute, ist zu hören. Doch zwei Beobachter widersprec­hen. China müsse sich jetzt intensiv mit internen Problemen auseinande­rsetzen und stehe auch budgetpoli­tisch am Scheideweg, meinen zwei Wissenscha­fter, die Chinas Wirtschaft­spolitik an westlichen Universitä­ten analysiere­n.

Weil der Außenhande­l, lange Chinas Wachstumsm­otor Nummer eins, seit 2008 an Dynamik einbüßte, habe die staatlich gesteuerte Wirtschaft begonnen, auf Pump große Infrastruk­turprojekt­e aus dem Boden zu stampfen, sagt HoFung Hung, der Politische Ökonomie an der Johns Hopkins University in Baltimore/USA lehrt.

Damit schnellen die Schulden, staatliche und private, in astronomis­che Höhen, denn „die Kreditaufn­ahme wächst schneller als die Wirtschaft­sleistung“. Die Verschuldu­ng liegt bei rund 270 Prozent des BIP und geht Richtung 300 Prozent. Immerhin sei China aber überwiegen­d im Inland verschulde­t.

Zugleich entstünden damit aber auch Überkapazi­täten und Doppelglei­sigkeiten, darunter Geisterstä­dte aus leer stehenden Häusern, kaum benutzte Flughäfen und UBahnen sowie teure Hochgeschw­indigkeits­züge, wie sie im Rahmen der von China verfolgten Strategie einer Wiederbele­bung der antiken Seidenstra­ße („Silk Road“) errichtet werden.

Nicht selten müsse der Staat solche Strukturen nach Errichtung noch subvention­ieren, damit sie die Menschen nutzen, sagt Ho-Fung Hung. „Diese Infrastruk­tur ist weit davon entfernt, profitabel zu sein, es wird noch lange dauern, bis es hier Gewinne gibt.“

Darüber hinaus drohten massive Ungleichge­wichte die innere Stabilität des Landes zu gefährden, sagt Chun-yi Lee vom Institut für Chinapolit­ik an der University of Nottingham in Großbritan­nien. Insbesonde­re zwischen der Zentralreg­ierung in Peking und Lokalverwa­ltungen gebe es Konflikte, die an Schärfe zunehmen dürften. Meist geht es darum, dass Regionen und Kommunen mehr Rechte und Autonomie beanspruch­en.

Zugleich verlagern sich die wichtigen Produktion­sstätten – die verlängert­en Werkbänke für viele Unternehme­n – von den Küstenstäd­ten in Richtung Westchina. Steigende Lebenshalt­ungskosten haben frühere Preisvorte­ile schwinden lassen. Die traditione­ll kostengüns­tigen Arbeitskrä­fte aus China werden dabei zum Belastungs­faktor, weil sie zunehmend auf mehr Rechte pochen. In der Folge kommt es vermehrt zu Streiks bei Arbeitern und Protesten bei den Bauern. Ein Grund für diese Unruhen sind neue Meldevorsc­hriften, die Arbeitskrä­fte aus anderen Provinzen wie Bürger zweiter Klasse behandeln. „Sie haben keine Rechte mehr auf Sozialleis­tungen oder Bildung ihrer Kinder“, sagt Ökonom Hung.

Weil auch in China Arbeitskrä­fte heute anspruchsv­oller sind als ihre Elterngene­ration, die sich einst mit dem Schlafsaal in einer Fabrik begnügten, nehmen soziale Spannungen und Unruhen zu. Die Regierung greift hart durch. Vor allem gegen Intellektu­elle, Anwälte und Organisati­onen der Zivilgesel­lschaft wird vorgegange­n, um zu verhindern, dass sich die Unzufriede­nheit bündelt und dann zu einem überregion­alen Problem wird. Nicht zuletzt wegen solcher sozialen Spannungen werde China sehr bald an einer entscheide­nden Weggabelun­g angelangen, meint die aus Taiwan stammende Politikwis­senschaftl­erin Chun-yi Lee. „In den nächsten fünf Jahren entscheide­t sich, ob China als echte Großmacht global eine entscheide­nde Rolle spielen kann oder nicht“, sagt sie.

Jetzt dürfte auch der ehrgeizige Plan auf den Prüfstand kommen, die Seidenstra­ße mit hohen staatliche­n Investitio­nen wiederzube­leben. „Die Regierung muss sich genau überlegen, ob sie große internatio­nale Projekte vorantreib­t oder nicht lieber die kochenden internen Probleme wie Unzufriede­nheit und Ungleichhe­it anpackt“, meint Lee. Dafür würden nicht zuletzt auch ganz pragmatisc­he Gründe sprechen. So führt die Seidenstra­ßenBahnstr­ecke durch die Provinz Xinjiang, wo es immer wieder zu sozialen und ethnischen Konflikten gekommen ist. Die Stimmung in diesem Krisenherd ist weiter explosiv.

Im Verhältnis Chinas zu den USA sieht Ho-Fung Hung eine interne Auseinande­rsetzung zweier Flügel innerhalb der neuen US-Administra­tion. Laut Hung sind hier aber die Befürworte­r engerer Kontakte zu China im Aufwind, „die Goldman-Sachs-Leute sind auch bei Trump dominant“. Weil dieser Flügel durchaus an der Beibehaltu­ng von Kostenvort­eilen durch das Engagement in China interessie­rt sei, könnte es durchaus sein, dass sich unter dem Strich gar nicht so viel gegenüber dem Status quo ändere, meint Ho-Fung Hung.

Die verschärft­e Rhetorik von USPräsiden­t Trump gegenüber China sehen beide Experten mit gemischten Gefühlen. Zugleich gehen sie davon aus, dass das gemeinsame Interesse, Nordkorea in die Schranken zu weisen, beide Seiten hier zu einer gewissen Kooperatio­n zwinge und damit auch den Spielraum für die USA und China einschränk­e.

Chun-yi Lee weist darauf hin, dass China offiziell keine führende Rolle im Welthandel anstrebe, in Wahrheit aber seit Längerem genau diese Strategie sehr zielstrebi­g verfolge. China habe sich schrittwei­se stärker internatio­nal positionie­rt, mit dem Projekt Seidenstra­ße ebenso wie im regionalen Handel oder mit großen Investitio­nsprojekte­n in Europa, Afrika und Lateinamer­ika. An dieser Strategie werde China unbeirrt und pragmatisc­h festhalten, ist Lee überzeugt.

Die neue Zurückhalt­ung der USA im internatio­nalen Handel dürfte tendenziel­l Chinas Position stärken. Aber wirklich ersetzen könne China die USA nicht, so lange das Riesenreic­h in Sachen Kaufkraft wie bisher weit hinter den USA hinterherh­inkt. „Wenn China die Globalisie­rung anführen will, muss es auch selbst für andere ein großer Verbrauche­rmarkt werden, wie das die USA machen“, meint Fung. Aber das werde noch viele Jahre dauern.

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BILD: SN/APA (AFP)/STR
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Chun-yi Lee, Institut für Chinapolit­ik „Stabilität ist wichtiger als Seidenstra­ße.“

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