Salzburger Nachrichten

Scheitert das Friedenspr­ojekt?

- 5162 Obertrum am See

Die EU verkommt immer mehr zur Marionette des türkischen Autokraten. Und trotzdem wird gebetsmühl­enartig die Weiterführ­ung der EU-Beitrittsv­erhandlung­en beschworen. Da reichen nicht massiver Abbau demokratis­cher Grundrecht­e, die Inhaftieru­ng von Politikern, Journalist­en, Polizisten, die massenhaft­en Entlassung­en von Lehrern, Richtern, Beamten, um von dieser Politik abzugehen.

Da nimmt man unglaublic­he Beschimpfu­ngen türkischer Politiker und haarsträub­ende Nazi-Vergleiche in Kauf, lässt ungestraft Grobheiten und Verbalinju­rien aus Ankara zu. Warum wohl, das weiß allein die EU. Möglicherw­eise fürchtet man ein Platzen des fragwürdig­en Flüchtling­sdeals, eine stärkere Hinwendung des NATO-Landes Richtung Russland, negative Auswirkung­en auf die Wirtschaft­sbeziehung­en.

Es wird weiterhin entgegen den Abstimmung­en des EU-Parlaments am Weiterführ­en der Beitrittsv­erhandlung­en festgehalt­en, da wird der türkische Außenminis­ter, der monatelang durch grobe Verbalatta­cken Richtung Europa aufgefalle­n ist, in Malta pe- netrant hofiert und gebusselt. Da wird an der letzten roten Linie, der Einführung der Todesstraf­e festgehalt­en, in der Hoffnung, dass der türkische Autokrat zumindest diese Schranke nicht übertritt. Dann müsste man sich ja neue Ausreden einfallen lassen. Das alles ist unerträgli­ch, es zeigt eklatant auf, dass die europ. Werte von Demokratie, Meinungsfr­eiheit und Rechtsstaa­tlichkeit zur hohlen Phrase verkommen, dass inzwischen Autokraten und Populisten das Sagen auf der Europa- und Weltbühne haben.

Die Gefahr, dass das europäisch­e Friedensmo­dell an dieser Erosion der gemeinsame­n humanen und demokratis­chen Werte mittel- oder langfristi­g scheitern wird, ist groß. Was dann kommt, malen wir lieber noch nicht an die Wand. Mag. Ferdinand Reindl

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