Verriss-Muster fürs erste Kanzlerjubiläum
Sie wollen wissen, wofür Sie Christian Kern nach einem Jahr im Amt kritisieren dürfen? Hier steht es.
Als Friedrich Torberg den zweiten Band seiner „Tante Jolesch“schrieb, stellte er dem Buch drei Verriss-Muster voran. In diesen Mustertexten schlug er Kritikern und bösartigen Konkurrenten bereitwillig und mundgerecht vor, wie sie sein Werk als langweilig, geldgierig oder sonst was abkanzeln könnten.
Diese Idee war einigermaßen genial. Denn erstens waren die Verriss-Muster ein Lesegenuss für sich. Zweitens zeigten sie, wie schablonenhaft viele Kritiken nicht nur im Literaturbetrieb sind. Und drittens verunmöglichten sie es klarerweise jedem Kritiker, auch nur einen einzigen der von Torberg so zuvorkommend angebotenen Kritikpunkte tatsächlich gegen ihn in Anschlag zu bringen. – Ein Sieg auf allen Linien also.
Liegt dieses „Modell Tante Jolesch“vielleicht auch der in den letzten Tagen vorgebrachten Kritik zum bevorstehenden ersten Dienstjubiläum unseres Herrn Bundeskanzlers zugrunde? Handelt es sich dabei um Verriss-Muster, die in Wahrheit Verrisse ausschließen sollen? Möglich wäre es. In der österreichischen Innenpolitik ist schließlich alles möglich.
So gesehen wäre die „Hammer & Sichel“Broschüre der ÖVP-Zentrale in Wahrheit ein Liebesdienst des Koalitionspartners für den Regierungschef. Denn nun ist es unmöglich, Christian Kern auch nur in die Nähe von Marx und Murks zu rücken. Es wäre ein plumpes Plagiat und würde von den bekannten Plagiatsjägern zu Recht mit der Aberkennung des Kindergartenabschlusses bestraft.
Auch das befremdliche Spruchband, mit dem die SPÖ-Jugend ihren Parteichef bei der Wiener Maifeier empfangen hatte, erscheint plötzlich in einem anderen Licht. „Christian, du Werner!“, war da zu lesen gewesen und wurde als harsche Kritik am Kurs Kerns in der Ausländerpolitik gewertet. Nein! Es handelte sich um ein Verriss-Muster, durch das sich nun jeder Vergleich zwischen Kern und seinem Vorgänger Werner Faymann verbietet.
Um den neuen Mann im Kanzleramt gegen weitere Verrisse an seinem ersten Jubeltag zu feien, folgt hier auch noch ein Verriss-Muster für die Werbewirtschaft:
„Was soll man mit einem Politiker anfangen, der zwar permanent behauptet, sich im Wahlkampf zu befinden, aber Tag und Nacht nur an seine Regierungsarbeit denkt? Der Politik als 95 Prozent Sacharbeit definiert? Der auf jegliche Inszenierung pfeift und sogar sein Äußeres vernachlässigt? Der noch nie einen Gedanken an die nächste Wahl verschwendet hat? So ein Politiker ist geschäftsschädigend! Er mag zwar die unglaublichsten Reformen im Alleingang durchgeboxt haben, doch er gefährdet in fahrlässiger Weise die Arbeitsplätze in der Spindoktoren-Industrie. Protest!“