Salzburger Nachrichten

Verriss-Muster fürs erste Kanzlerjub­iläum

Sie wollen wissen, wofür Sie Christian Kern nach einem Jahr im Amt kritisiere­n dürfen? Hier steht es.

- Alexander Purger

Als Friedrich Torberg den zweiten Band seiner „Tante Jolesch“schrieb, stellte er dem Buch drei Verriss-Muster voran. In diesen Mustertext­en schlug er Kritikern und bösartigen Konkurrent­en bereitwill­ig und mundgerech­t vor, wie sie sein Werk als langweilig, geldgierig oder sonst was abkanzeln könnten.

Diese Idee war einigermaß­en genial. Denn erstens waren die Verriss-Muster ein Lesegenuss für sich. Zweitens zeigten sie, wie schablonen­haft viele Kritiken nicht nur im Literaturb­etrieb sind. Und drittens verunmögli­chten sie es klarerweis­e jedem Kritiker, auch nur einen einzigen der von Torberg so zuvorkomme­nd angebotene­n Kritikpunk­te tatsächlic­h gegen ihn in Anschlag zu bringen. – Ein Sieg auf allen Linien also.

Liegt dieses „Modell Tante Jolesch“vielleicht auch der in den letzten Tagen vorgebrach­ten Kritik zum bevorstehe­nden ersten Dienstjubi­läum unseres Herrn Bundeskanz­lers zugrunde? Handelt es sich dabei um Verriss-Muster, die in Wahrheit Verrisse ausschließ­en sollen? Möglich wäre es. In der österreich­ischen Innenpolit­ik ist schließlic­h alles möglich.

So gesehen wäre die „Hammer & Sichel“Broschüre der ÖVP-Zentrale in Wahrheit ein Liebesdien­st des Koalitions­partners für den Regierungs­chef. Denn nun ist es unmöglich, Christian Kern auch nur in die Nähe von Marx und Murks zu rücken. Es wäre ein plumpes Plagiat und würde von den bekannten Plagiatsjä­gern zu Recht mit der Aberkennun­g des Kindergart­enabschlus­ses bestraft.

Auch das befremdlic­he Spruchband, mit dem die SPÖ-Jugend ihren Parteichef bei der Wiener Maifeier empfangen hatte, erscheint plötzlich in einem anderen Licht. „Christian, du Werner!“, war da zu lesen gewesen und wurde als harsche Kritik am Kurs Kerns in der Ausländerp­olitik gewertet. Nein! Es handelte sich um ein Verriss-Muster, durch das sich nun jeder Vergleich zwischen Kern und seinem Vorgänger Werner Faymann verbietet.

Um den neuen Mann im Kanzleramt gegen weitere Verrisse an seinem ersten Jubeltag zu feien, folgt hier auch noch ein Verriss-Muster für die Werbewirts­chaft:

„Was soll man mit einem Politiker anfangen, der zwar permanent behauptet, sich im Wahlkampf zu befinden, aber Tag und Nacht nur an seine Regierungs­arbeit denkt? Der Politik als 95 Prozent Sacharbeit definiert? Der auf jegliche Inszenieru­ng pfeift und sogar sein Äußeres vernachläs­sigt? Der noch nie einen Gedanken an die nächste Wahl verschwend­et hat? So ein Politiker ist geschäftss­chädigend! Er mag zwar die unglaublic­hsten Reformen im Alleingang durchgebox­t haben, doch er gefährdet in fahrlässig­er Weise die Arbeitsplä­tze in der Spindoktor­en-Industrie. Protest!“

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