Moskau reißt 8000 Häuser ab
Eine Ära geht zu Ende. Die Plattenbauten in Moskau aus der Sowjetzeit sollen abgerissen werden. 1,6 Millionen Bewohner sind betroffen, viele wehren sich gegen die Maßnahme.
Der Sowjetführer Nikita Chruschtschow ist schon seit mehr als vier Jahrzehnten tot, aber die unter ihm hochgezogenen und nach ihm benannten Plattenbauten stehen noch zu Tausenden in Moskau. Die meisten „Chruschtschowkas“sind desolat – und zwar derart, dass es nun einen Abrissplan gibt.
Der russische Präsident Wladimir Putin hat sich dafür ausgesprochen und der Moskauer Bürgermeister Sergej Sobjanin pflichtet ihm bei. Aber viele Bewohner laufen Sturm gegen die in Aussicht gestellte Demolierung.
Chruschtschowkas haben extrem kleine Küchen, Aufzüge gibt es nicht. In jedem Fall handelt es sich um Billig-Mietskasernen der poststalinistischen Zeit, die in Moskau und vielen anderen russischen Städten in kürzester Zeit errichtet wurden, um der Wohnungsnot der 1950er- und 1960er-Jahre zu begegnen. Chruschtschowkas sind vier oder fünf Etagen hoch. Insgesamt machen sie rund ein Zehntel des Moskauer Wohnraums aus.
Ende Februar gab Bürgermeister Sobjanin seinen Plan zur Beseitigung der Chruschtschowkas bekannt. Damals bezog er sich auf 8000 Gebäude mit rund 1,6 Millionen Einwohnern. Doch viele Bewohner der desolaten Häuser wollen ihre Quartiere nicht verlassen.
„Das Ziel ist, die Wohnbedingungen für diejenigen zu verbessern, deren Gebäude einzustürzen drohen“, sagte Putin. „Selbstverständlich muss dies in einer Weise geschehen, die die Rechte der Bürger nicht verletzt.“Für den Umbau, der im September beginnen soll, sind 3,6 Billionen Rubel (57 Milliarden Euro) veranschlagt.
Es wird nicht leicht werden, die Moskauer Bevölkerung aus den lieb gewonnenen Chruschtschowkas herauszuholen. Diese Bauten sind zum Teil des kollektiven Lebensgefühls geworden, mit Dmitri Schostakowitschs Operette „Tscherjomuschki“sind sie sogar in die Musikgeschichte eingegangen.
Der Abschied von den Chruschtschowkas sei eine „historische Etappe“, räumt der Abgeordnete Pjotr Tolstoj von der Regierungspartei Einiges Russland ein. „Es hat seit Jahrzehnten keine so wichtige Veränderung in Moskau gegeben.“Die Menschen leben nach Ansicht Tolstojs in den alten Plattenbauten unter „schrecklichen Lebensbedingungen“.
Der Umbauplan ist reichlich unpräzise. Was den Einwohnern garantiert werden soll, ist eine Wohnung „entsprechender“Größe und im angestammten Wohnviertel. Der Wert der Wohnungen wird in den Planungen nicht thematisiert. Nach den geltenden Bestimmungen muss vor der Zerstörung eines Gebäudes das Einverständnis von zwei Dritteln der Bewohner vorliegen. Sobald die Zustimmung eingeholt wurde, kann eine Pflicht zum Auszug innerhalb von zwei Monaten angeordnet werden.
Walerija Jewsejewa ist gegen die Planungen der Moskauer Stadtverwaltung, sie spricht von einer „Deportation“. In Ismailowo, im Nordosten von Moskau, wurde bei einer Einwohnerversammlung noch kein konkreter Plan vorgelegt, wo die Bewohner einer Chruschtschowka nach dem Abriss leben sollen.
Der Verwaltung mangle es an „Respekt“vor dem Privateigentum, monierte daraufhin die Zeitung „Wedomosti“. Der Abgeordnete Michail Degtjarew von der Liberal-Demokratischen Partei warnt indes vor der Gefahr, dass Geschäftsleute von dem Projekt am meisten profitieren.
„Ziel ist, die Bedingungen für die zu verbessern, deren Gebäude einzustürzen drohen.“Wladimir Putin, Präsident