Salzburger Nachrichten

Kern sucht nach Weg ohne die ÖVP

Der Kanzler betont neuerlich, nichts von einer vorgezogen­en Neuwahl zu halten.

- Heinz-Christian Strache wird sich etwas einfallen lassen müssen, um im Kampf um die Nummer eins mithalten zu können.

Die SPÖ-ÖVP-Koalition hat ihre Zusammenar­beit faktisch eingestell­t. Während der vermutlich nächste ÖVP-Chef Sebastian Kurz am Donnerstag hinter den Kulissen die Möglichkei­ten auslotete, eine vorverlegt­e Nationalra­tswahl herbeizufü­hren, suchte Bundeskanz­ler Christian Kern gleichsam vor den Kulissen nach neuen Verbündete­n. Kern führte Gespräche mit den Chefs der vier Opposition­sparteien, um für Unterstütz­ung für die in seinem „Plan A“zusammenge­fassten Vorhaben zu werben.

Dies deutet darauf hin, dass der Kanzler offensicht­lich nicht mehr an eine Kooperatio­n mit der ÖVP glaubt. Gleichzeit­ig will er aber auch keine vorgezogen­e Neuwahl: „Ich sehe kein einziges Problem, das durch Neuwahlen in Österreich gelöst werden kann. Es wird keine Verkäuferi­n einen Euro mehr verdienen, es wird kein Arbeitslos­er einen Job mehr bekommen, es wird kein Kind eine bessere Schule bekommen.“SPÖ-Gesprächsp­artner verwiesen darauf, dass etliche Vorhaben fast beschlussf­ertig seien und durch eine Beendigung der Legislatur­periode zu Makulatur würden.

Kurz äußerte sich nicht. Der Außenminis­ter wird voraussich­tlich Sonntagabe­nd vom Parteivors­tand zum geschäftsf­ührenden ÖVP-Obmann gekürt werden. Ob er auch das Amt des Vizekanzle­rs übernehmen wird, ist noch unklar. Klar hingegen ist, dass Kurz aus taktischen Gründen eine rasche Neuwahl anstreben muss. Denn sein Verbleib in der von ihm ungeliebte­n Koalition würde ihn rasch seines Nimbus als neue politische Kraft berauben.

Die derzeit in Alpbach versammelt­en ÖVP-Landeshaup­tleute erklärten Donnerstag­nachmittag in einer akkordiert­en Stellungna­hme, man sei einig, dass Außenminis­ter Sebastian Kurz auch in Zukunft eine zentrale Rolle in der Partei spielen solle. Welche dies sei, werde man am Sonntag in den Gremien beraten.

Der Rücktritt von Parteichef und Vizekanzle­r Reinhold Mitterlehn­er vorgestern, Mittwoch, hat den Zeitplan des Kurz-Lagers freilich ein wenig durcheinan­dergebrach­t. Sollte der Nationalra­t in diesen Tagen seine Auflösung beschließe­n, würde der Neuwahlter­min in den August fallen – ein denkbar ungünstige­r Monat für Wahlen. Bei einer Verschiebu­ng in den Frühherbst wiederum würde sich die Koalition dem Vorwurf aussetzen, etliche Wochen, die eigentlich der Arbeit gewidmet sein sollten, ungenutzt verstreich­en zu lassen.

WIEN. Österreich­s Regierung steht auf der Kippe. Ob SPÖ und ÖVP noch länger zusammenar­beiten werden, wenn Sebastian Kurz am Sonntagabe­nd wirklich zum neuen Obmann der ÖVP gekürt wird, halten Experten für unwahrsche­inlich.

„Sebastian Kurz profitiert von einer Neuwahl“, ist die Politologi­n Kathrin Stainer-Hämmerle überzeugt. Es sei für ihn in der jetzigen Situation mit Abstand die beste Option. Nach dem Abgang des bisherigen ÖVP-Chefs Reinhold Mitterlehn­er mit der SPÖ weiter zusammenzu­arbeiten und sich im täglichen Koalitions­getriebe abzumühen berge die Gefahr, dass seine Beliebthei­tswerte deutlich sinken könnten, sagt die Politikwis­senschafte­rin.

Sie ist mit dieser Meinung nicht allein. Zahlreiche Meinungsfo­rscher und Politikwis­senschafte­r sind ebenfalls dieser Ansicht – und anscheinen­d auch die ÖVP. Seit Mitterlehn­ers Abgang haben so gut wie alle maßgeblich­en ÖVP-Politiker, die in der Öffentlich­keit aufgetrete­n sind, Zweifel geäußert, dass der Vorschlag von Bundeskanz­ler Christian Kern, eine Reformpart­nerschaft zu bilden, wirklich ernst gemeint ist.

Wobei Stainer-Hämmerle darauf hinweist, dass Kern ebenfalls von einer raschen Neuwahl profitiere­n könnte. So könnte das Duell Kern gegen Kurz als Lagerwahlk­ampf, Links gegen Rechts, angelegt werden. Kern hätte damit die Chancen, seine Partei, die in Wien wild zerstritte­n ist, hinter sich zu einen. „Dieser schwelende Machtkampf ist eine schwere Hypothek für den Kanzler, das darf man nicht vergessen“, sagt Stainer-Hämmerle. Ein Zweikampf Kurz gegen Kern könnte außerdem dazu führen, dass die FPÖ nicht mehr so stark zur Geltung kommt wie bisher. „Viele freiheitli­che Themen hat inzwischen ja die ÖVP und teilweise die SPÖ übernommen“, sagt die Politologi­n. Außerdem hätte die ÖVP die Chance, FPÖ-Wähler, vor allem aus ländlichen Regionen, zurückzuge­winnen. „Analysen zeigen, dass die ÖVP mit Kurz der FPÖ mehr zusetzt, als es die SPÖ tut“, erklärt StainerHäm­merle. Die FPÖ müsse sich jedenfalls etwas einfallen lassen, damit sie im Kampf um die Nummer eins mitreden könne.

Klar ist, für wen eine Neuwahl derzeit nicht gerade wünschensw­ert ist: Das sind die kleineren Op- positionsp­arteien Grüne, Neos und Team Stronach. Das Team Stronach, so zeigen derzeit alle Umfragen, hat keine Chance, im nächsten Nationalra­t vertreten zu sein. Für die Neos könnte es ebenfalls knapp werden. Ein Dreikampf Kern, Kurz und Heinz-Christian Strache um die Nummer eins macht die Situation nicht einfacher, weil diese Auseinande­rsetzung meist alle anderen Themen überlagert.

Selbst die Grünen könnten dadurch Probleme bekommen, ein gutes Ergebnis einzufahre­n. Noch dazu, da die Partei nach den internen Auseinande­rsetzungen rund um die Jungen Grünen sowieso noch nach Geschlosse­nheit sucht.

Eines ist für Stainer-Hämmerle ebenfalls klar: dass der Spruch „Wer Wahlen vom Zaun bricht, verliert diese“, so nicht stimmt. So habe etwa Wolfgang Schüssel einst die Koalition mit der FPÖ vorzeitig beendet und anschließe­nd einen überragend­en Wahlsieg (42 Prozent) gefeiert. Es komme immer darauf an, in welcher Situation man die Koalition aufkündige und ob man dies vor der Wählerscha­ft anständig begründen könne.

„Kleinere Parteien haben es schwer.“Kathrin Stainer-Hämmerle Politologi­n

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BILD: SN/ANDREAS KOLARIK Bundeskanz­ler Christian Kern suchte am Donnerstag nach neuen Verbündete­n und sprach mit den Opposition­sparteien.
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BILD: SN/APA/PFARRHOFER
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