Die Zeit der taktischen Spiele ist vorbei
Es ist klar, was gut ist für Christian Kern. Es ist auch klar, was gut ist für Sebastian Kurz. Doch was ist gut für Österreich?
Der Umstand, dass Christian Kern am Donnerstag eifrig mit den Spitzenvertretern der Oppositionsparteien konferierte, ließ wilde Vermutungen ins Kraut schießen. Der Bundeskanzler wolle die Chancen für eine Minderheitsregierung ausloten, also eine rote Regierung ohne Beteiligung der ÖVP und ohne parlamentarische Mehrheit, in ihrer Existenz nur abgesichert durch das Stillhalten der Opposition, hieß es.
So wenig wahrscheinlich eine solche Variante ist und so wenig tragfähig sie wäre, so sehr offenbaren diese Gerüchte des Kanzlers taktisches Kalkül. Kern ist Realist genug, keine Minderheitsregierung anzustreben, in der sein Scheitern programmiert wäre. Doch im Gegensatz zu Sebastian Kurz, der seine guten Umfragewerte lieber heute als morgen in einen Wahlkampf überführen möchte, hat Christian Kern absolut kein Interesse an einer vorverlegten Neuwahl. Denn je länger sich Kurz an der Spitze einer reformresistenten ÖVP aufreiben muss, desto schneller wird sein Stern sinken. Daher das Bestreben des Kanzlers, die Arbeitsperiode dieser arbeitsunfähigen Regierung möglichst in die Länge zu ziehen. Daher sein Angebot einer „Reformpartnerschaft“an Sebastian Kurz. Daher seine Gespräche mit der Opposition, die bei einem allfälligen Neuwahlantrag der ÖVP keine unwesentliche Rolle spielen würde.
Somit ist also klar, was Sebastian Kurz nützt und was Christian Kern. Doch was nützt dem Land? Auch das ist klar: eine möglichst baldige Neuwahl. Denn diese Regierung wird nichts mehr zustande bringen. Nach dem Abgang Reinhold Mitterlehners werden jene in der ÖVP die Macht übernehmen, die an einer gedeihlichen Zusammenarbeit mit der SPÖ kein Interesse haben, von Wolfgang Sobotka auf- und abwärts. Und zwar haben sie an einer gedeihlichen Zusammenarbeit mit der SPÖ deshalb kein Interesse, weil sie der nicht ganz unberechtigten Meinung sind, dass ein Erfolg der Regierung nur dem Bundeskanzler nützt und den Vizekanzler und ÖVP-Chef somit in seiner ewigen Nummer-zwei-Position einzementiert. Reinhold Mitterlehner hat sich dieser Logik nicht gebeugt, er wollte konstruktiv mit der SPÖ regieren und wurde genau aus diesem Grund von seinen Parteifreunden ins Aus gedrängt. Warum sollen ausgerechnet diese Parteifreunde nun konstruktive Regierungspolitik unter der Führung von Christian Kern machen wollen? Ein absurder Gedanke, wie auch der Bundeskanzler weiß. Die Zeit der taktischen Spiele ist vorbei. Es führt kein vernünftiger Weg an einer Herbstwahl vorbei.