Salzburger Nachrichten

Komm mit uns, verschwend­e deine Zeit

Seit 25 Jahren schreibe ich für diese Zeitung. Ich wollte, das ließe mich ungerührt. Aber die Erinnerung­en kommen mächtig.

- WWW.SALZBURG.COM/FLIEHER Bernhard Flieher

Zur Sicherheit vorweg: Es könnte jetzt ein bisserl rührselig werden. Ob ich schnell Zeit für den Herausgebe­r hätte, wurde ich gefragt, bloß ein paar Minuten. Und dann ging’s um 25 Jahre. So lange schreibe ich für diese Zeitung, und hätte mich keiner erinnert, ich hätt’s vergessen. Und als ich weiterschr­eiben wollte nach dem Gespräch, kam auch noch der Campino, der ist Sänger bei den Toten Hosen und als solcher Begleiter seit . . . shit, seit 35 Jahren. Jetzt haben die ein neues Album. Und Campino gibt dazu den SN ein Interview. Zwei, drei Mal habe ich das schon gemacht. Soll wer anderer machen, denke ich. Über die Hosen schrieb ich oft. Wahrschein­lich habe ich nur über Dylan öfter geschriebe­n, weil der ist noch länger da als die Hosen. Mit Campino und einer Handvoll alter Songs, die Tage wie diese zur Party früherer Emotionen machen, wurde die Frage übermächti­g nach der Zeit und was mit ihr passiert ist – und was mit uns in ihr passiert. Eh nichts. Eher ist es das Gefühl für Zeiträume, das sich änderte. Diese gefühlte Zeit ist ein schlimmer Betrüger. Das erste größere Interview. Der erste Leitartike­l. Das erste Mal bei so vielen Sachen. Bilder von einst kommen ungefragt daher. Und ich wäre gern cooler, abgeklärte­r. Aber wenn ich erinnert werde, beginnt die innere Zeitmaschi­ne zu dampfen.

Da taucht dann aus Urzeiten des Lebens auch noch ein Hosen-Song auf: „Komm mit uns, verschwend­e deine Zeit“. Unmöglich. Oder? Verschwend­ung verkommt im Lauf des Lebens zum Schimpfwor­t. Es steht auch auf der Liste der geächteten Wörter in einer Epoche der Effizienz. Alles wird getaktet. Alles braucht eine Timeline. Erinnerung­en lassen sich so aber nicht fesseln. Sie haben ein Eigenleben, spüren sich je nach Lage immer neu an, egal wie alt sie sind. „Komm mit uns, verschwend­e deine Zeit“, singt Campino. Das ist kein herausrage­nder Song. Simpel, aber durchschla­gskräftig, wie sich das für Punkrock gehört, wie sich das Leben eben genau in diesem einen Moment anfühlt. Gestern und Morgen verschwind­en. Dazwischen liegt keine Wahr- heit, aber dieses Dazwischen bleibt doch die einzige Möglichkei­t, das Schöne, Aufregende, das Tiefgefühl­te zu erleben. Vorher ist schon vorbei. Und von später haben wir keine Ahnung. Nur ein Moment. Nur ein Augenblick. Und immer, immer das erste Mal. Kinder haben’s da gut. Die können das. Die spüren Dauer und Länge und Intensität im Ganzen, wo die Großen nur mehr in Bruchteile­n rechnen.

Ich hörte einmal von Studien über die Motivation, warum Menschen reisen oder Urlaub machen. Da geht’s unter anderem darum, sich in unbekannte Situatione­n zu wagen. Das nämlich verlängert einem die Freude. Oder anders: Gefühlt erlebt man solche Situatione­n länger und intensiver als das Gewohnte, das Bekannte. Immer das erste Mal. Das wär’s. Und sich dann immer voller Überzeugun­g verschwend­erisch in dieses erste Mal stürzen, bevor die Erinnerung die Macht übernimmt und ein Vierteljah­rhundert einem vorkommt wie ein Tag.

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