Die neue Welt ist vertikal
Bisher spielt sich unsere Welt in der Waagrechten ab: Gebäude sind durch Straßen verbunden, wir bewegen uns in zwei Dimensionen. Warum die Erschließung der Höhe ein Turbo für Innovation ist.
Der Schweizer Trendforscher David Bosshart denkt in die Zukunft.
SN: Es war wohl noch nie so schwer, in die Zukunft zu blicken, wie dieser Tage – warum?
Bosshart: Wir leben nicht mehr in einer Welt linearer Veränderungen und der traditionellen Vorstellung von Zukunft, die eine Extrapolation der Vergangenheit ist. Zukunft ist heute nicht nur unvorhersehbar, sondern unvorstellbar. Und es fehlt an Utopien. Früher gab es mit Zukunftswerten behaftete Parteien mit ideologischem Hintergrund. Heute gibt es nur noch diese Verrückten im Silicon Valley, die über Unsterblichkeit bei Google nachdenken und andere Planeten bevölkern wollen. Das ist keine befriedigende Perspektive für jemanden, der in einem Supermarkt arbeitet.
SN: Wie gehen Sie professionell mit der Unvorstellbarkeit um?
Wir sind sehr interdisziplinär ausgerichtet, beschäftigen Philosophen, Psychologen, Ökonomen, Umweltwissenschafter, Marktforscher, Linguisten. Das ist wichtig, denn die Grenzen zwischen den Disziplinen lösen sich auf. Und überhaupt, ist Ökonomie eine Wissenschaft oder Hellseherei? Ein Grund für den Brexit war ja, dass Leute das Vertrauen in Wissenschafter und Experten verloren haben. Unser Job ist es, möglichst fundiert Zukünfte zu ersinnen, Themen zur Diskussion zu stellen und zu lernen.
SN: Wie ist die Trefferquote? Ich mache keine Prognosen, das
überlassen wir den Ökonomen. Wir versuchen nur Veränderungen auf Grund unseres Wissens und unserer Erfahrung einzuordnen.
SN: Viele Menschen haben Sorge, durch Digitalisierung ihren Arbeitsplatz zu verlieren.
Darüber wird viel zu düster berichtet. Die Geschichte der Technik war immer eine Geschichte der Automatisierung. Menschen sind froh, wenn sie durch Technik effizienter werden, dazu kommt schlicht Faulheit. Wir sind froh, wenn jemand anderer Dinge für uns erledigt. Früher waren es Sklaven, heute sind es immer bessere Maschinen. Technologie hat immer dazu geführt, dass Berufe neu definiert wurden oder wegfielen. Aber wir können heute nicht sagen, welche Bedürfnisse und Berufe neu entstehen. Das aufgeregte Geschrei, alles werde schlechter, ist jedenfalls nicht nur gefährlich, sondern auch dumm.
SN: Kann verantwortungsvolle Politik diese Ängste zerstreuen?
Ich setze eher auf verantwortungsvolle Unternehmer. Die Politik hat das Hauptproblem, dass es immer weniger Mehrheitsfähigkeit gibt. Also taktieren Politiker immer mehr, schielen nur noch auf den nächsten Wahltermin und schmieden neue Koalitionen, die gleich wieder zusammenbrechen. Wichtiger als die Politik ist, dass die Industrie sich selbst einschätzen kann und einen guten Job macht. Dasselbe zu machen wie der Nachbar genügt nicht mehr.
SN: In der Politik scheinen parteilose Unternehmertypen wie Macron oder Trump gefragt.
Weil sie keinen klassischen politischen Parteien angehören, eignen sie sich als Projektionsflächen. Dazu kommt, dass heute kaum noch jemand zur Rechenschaft gezogen wird, wenn er Unsinn macht.
SN: Was bringt die schöne neue Welt den Konsumenten?
Sie werden besser leben, weil sie viel mehr Auswahl haben. Vernetzte Dienstleister werden uns Zugang zu Dingen und Erlebnismöglichkeiten bieten, die wir uns früher nicht einmal für ein Schlaraffenland hätten träumen lassen. Dadurch gewinnen Konsumenten und Investoren. Für Angestellte, die einen sicheren stabilen Job mit Sozialleistungen wollen, ist das schwieriger. Die Frage ist, ob es Europa gelingt, nachhaltig eine starke Mittelschicht zu haben, davon hängt eine gute Zukunft ab.
SN: Kann sich Europa dauerhaft gegen aufstrebende Märkte aus Asien behaupten?
Im Negativszenario werden wir noch mehr zum Touristenmagneten, mit der Wirtschaft geht es langsam und sicher nach unten, dafür haben wir die besten Fußballmannschaften. Oder wir geben in der Digitalisierung wirklich Gas und suchen die besten Nischen, die von den Chinesen und Amerikanern noch nicht besetzt sind.
SN: Auch in der Arbeitswelt lösen sich die Strukturen auf.
Was die industrielle Welt getrennt hat – an dem einen Ort arbeiten, am nächsten einkaufen, wieder woanders Freizeit oder Wohnen oder Ferien –, können wir in der digitalen Welt für immer mehr Jobs zusammenführen. In chinesischen Megastädten leben 2000 Leute in einem einzigen Wolkenkratzer. Anders als unsere horizontale Welt ist das eine vertikal-horizontale Welt, samt Fast Food, Einzelhandel, Arbeitsplätzen, darüber ein Hotel, noch einmal darüber Restaurants, ganz oben Luxuswohnungen. In einer vertikalen Welt gibt es mehr Innovation, dort ist alles viel näher beisammen, man muss nur das Stockwerk wechseln. Das wichtigste Verkehrsmittel in Hongkong ist der Lift.
SN: Was bedeutet die Fragmentierung der Medienwelt?
Mit der Digitalisierung wird transparent, was früher nicht transparent war. Aber zu viel Transparenz zerstört das Vertrauen. Wenn ich zu viel weiß, wird alles gleichwertig, dann kann ich jeden wählen oder gar keinen. Heute weiß man alles. Trump war der erste Politiker, der alle Hemmungen vor den Details des Privatlebens verloren hat. Heute, wo wir immer mehr fragmentieren, wird uns bewusst, dass in der digitalen Welt die uralten tribalen Strukturen wieder hervorkommen. Wir sind immer mehr mit Menschen zusammen, die gleich sind wie wir. Wir leben in einem digitalen Tribalismus. Die anderen Stämme nimmt man nicht mal wahr, weil sie einen nicht interessieren.