Durch den Fleischwolf der Verachtung gedreht
Die politische Selbstzerstörung gefährdet unsere Demokratie. Bald wird kein vernünftiger Mensch mehr in die Politik gehen.
Betätigungsfeld für Krisengewinnler
Mehr hat es nicht gebraucht. Der untadelige ORF-Innenpolitikchef Hans Bürger sagte nach dem Rücktritt Eva Glawischnigs im Fernsehen, der bevorstehende Wahlkampf werde der bisher härteste und brutalste. „Da gilt es auch gegen Männer zu bestehen.“
Wer Bürger kennt, weiß, dass er nicht im Sinn gehabt hat, Eva Glawischnig zu unterstellen, sie wäre in der Auseinandersetzung gegen Männer schwach und unterlegen.
Doch das schert die versammelte Twitteria nicht, den besonnenen ORF-Journalisten wegen angeblicher Frauenfeindlichkeit durch Sonne und Mond zu schießen. Alle digitalen Beteuerungen des Reporters, er habe es nicht so gemeint, wie es die Wiener Blase aufgenommen habe, nützten nichts. Ein Shitstorm ergoss sich über den Mann. Er war dem Furor des Netzes ausgeliefert.
Ähnliche Tiraden mussten in den letzten Monaten viele in Politik und Medien über sich ergehen lassen. Eva Glawischnig, Reinhold Mitterlehner, Christian Kern, Sebastian Kurz oder Armin Wolf, sie alle wurden Ziel von Wut und Hass. Kurz wurde sogar mit dem Schlächter Idi Amin verglichen.
Gewiss, kann man jetzt einwenden, jede dieser Persönlichkeiten habe sich aus eigenen Stücken auf die politische und mediale Bühne begeben und nutze Twitter, Facebook, Instagram und Co. nicht nur zum harmlosen Chat mit Freunden, sondern als Bühne der Selbstdarstellung zum eitlen Vorteil. Wer mit Hunden ins Bett geht, darf sich nicht wundern, wenn er mit Flöhen aufwacht, heißt es.
Aber selbst wer die Gefahren der technischen und menschlichen sozialen Netzwerke kennt, muss nicht unbedingt davon ausgehen, dass er dort auf das Übelste beschimpft, verunglimpft, ja bedroht wird. Genau das ist heute der Fall. Wir haben jede Hemmung verloren. Unsere Gesellschaft ist auf dem besten Weg, ihre neuen kommunikativen Möglichkeiten nicht zur Wertschöpfung, sondern zur Zerstörung einzusetzen.
Politische Auseinandersetzungen hat es immer schon gegeben. Sie waren früher auch nicht nur von der feinen Art. Durch die digitale Entwicklung hat sich die Schlagzahl kolibriartig erhöht. Gleichzeitig ist die Hemmschwelle zur verbalen Attacke gesunken. Heute wird wüst drauflosgeschimpft.
Der Nationalrat geht mit schlechtem Beispiel voran, die Medien spitzen die Konflikte noch zu und die Bürger übernehmen die rotzfreche Art. Eine Abwärtsspirale ist im Gange. Politiker kommen in bestimmten Medien nur noch vor, wenn sie provozieren und attackieren. Das bringt Quote und Klicks. Mit Sacharbeit und kühlem Kopf ist nichts mehr zu holen.
Was wir seit geraumer Zeit aufführen, gefährdet unsere Demokratie. Wenn Politikerinnen und Politiker sich gegenseitig beschimpfen (Buhrufe gegen Kurz im Nationalrat, „Versager“-Attacke von Minister Sobotka gegen Kanzler Kern in der Regierung), wenn Medien das genüsslich verbreiten und durch eigene Untergriffe (Django-Plakat gegen Mitterlehner) auf die Spitze treiben, dann sind sie negative Vorbilder, die nachgeahmt werden. Womit sich der überall spürbare Hass dann oft gegen die Politiker selbst richtet.
Wenn unsere Gesellschaft so weitermacht, wird sie bald keine ernst zu nehmenden Persönlichkeiten mehr finden, die sich für ein politisches Amt zur Verfügung stellen. Politik wird dann zum Betätigungsfeld für skrupellose Krisengewinnler. Der Respekt, den wir vielen Politikerinnen und Politikern erweisen, kommt in der Regel erst nach deren Rücktritt. Der salbungsvolle Abgesang auf Reinhold Mitterlehner und Eva Glawischnig war symptomatisch für das Heuchlerische in unserer Gesellschaft. Zuerst werden sie durch den Fleischwolf der Verachtung gedreht, dann werden Krokodilstränen vergossen.
Hätten wir diesen Leuten den notwendigen Respekt schon zu aktiven Zeiten erwiesen, sie wären nicht nervlich und körperlich angeschlagen zurückgetreten.
Mäßigung und Besonnenheit, Sachlichkeit und Respekt bringen uns weiter als Beschimpfungen. Die politische Auseinandersetzung, deren mediale Inszenierung und ihre Verarbeitung durch eine entfesselte Wutbürgerschicht haben einen Tiefpunkt erreicht. Über die Parteigrenzen hinweg muss eine Koalition der Vernünftigen das Ruder in die Hand nehmen.