Zurücktreten, aber richtig
Wer nicht mit der Zeit geht, . . . . . . muss bekanntlich mit der Zeit gehen. Ein Ausflug zu jenen, die elegant aus ihrem Amt schritten. Und solchen, die eher hinausstolperten.
Kennen Sie Theodor Piffl-Percevic? Der ÖVPPolitiker trat 1969 als Unterrichtsminister zurück, weil er seinen Plan, ein zusätzliches Schuljahr einzuführen, in der eigenen Partei nicht durchsetzen konnte. Er wolle lieber als Minister fallen, statt inhaltlich umzufallen, sagte er und ging. Was daran so bemerkenswert ist? Nun, eben der Umstand, dass ein Politiker aus sachlichen Gründen freiwillig zurücktritt. Man muss bis 1969 zurückblättern, um auf einen solchen Fall zu stoßen. Denn im Normalfall tritt ein Politiker nicht freiwillig zurück, schon gar nicht aus sachlichen Gründen. Schließlich ist Politik zumeist sein Beruf, von dem er lebt. Und wer gibt schon freiwillig seinen Brotberuf auf?
Ein Jahr nach Piffl-Percevic trat sein Partei- und Regierungschef zurück – Josef Klaus. Es war der Wahlabend 1970. Der ÖVP-Bundeskanzler hatte soeben die absolute und sogar die relative Mehrheit verloren und erklärte noch am Wahlabend seinen Rücktritt. Diese Konsequenz hätte ihn eigentlich ehren müssen, doch die Nachrede, die Klaus erntete, war wesentlich schlechter als bei Piffl-Percevic: Klaus habe die ÖVP in einer extrem schwierigen Situation alleingelassen, hieß es.
Gibt es also einen idealen Zeitpunkt für den Rücktritt oder nicht?
Diese Frage treibt nicht nur Politiker um, sondern beispielsweise auch Skifahrer: Soll man zurücktreten, solange man noch Rennen gewinnt? Oder soll man weiterfahren, weil man ja doch noch Rennen gewinnen könnte? Manche Skifahrer erwischen den richtigen Zeitpunkt und treten als Sieger ab. Andere versäumen ihn und bekommen nachgesagt, ob sie es wirklich notwendig haben, am Ende ihrer Karriere derart hinterherzufahren . . .
Im Falle eines Spitzenpolitikers kommt zum Problem des richtigen Rücktrittszeitpunkts ein zweites Problem hinzu, das einen Sportler nicht zu kümmern braucht: die Regelung der Nachfolge.
Dieses doppelte Problem – richtiger Rücktrittszeitpunkt, geregelte Nachfolge – lässt sich in Österreich derzeit am Beispiel der drei Landeshauptleute Josef Pühringer, Erwin Pröll und Michael Häupl studieren: Josef Pühringer in Oberösterreich übergab seine Partei klar auf Platz eins liegend und mit geregelter Nachfolge. Er hat alles richtig gemacht. Erwin Pröll hinterließ in Niederösterreich eine sorgfältig aufgebaute Nachfolgerin und sogar eine absolute Mehrheit. Er trat aber etwas zu spät zurück, sodass sein Abgang von unschönen Gerüchten über seine Privatstiftung überschattet wurde. Und Michael Häupl in Wien hat den richtigen Zeitpunkt für den Rücktritt längst versäumt. Seine Partei zerfleischt sich gerade in Flügel- und Nachfolgekämpfen. Das wird kein schöner Abgang für Häupl.
Dabei sind die Handlungsspielräume für Landeshauptleute – auch was ihren Rücktritt betrifft – meist wesentlich größer als in der Bundespolitik. Dort gestalten sich die Abgänge in aller Regel unschön. Der letzte Bundeskanzler, der den Zeitpunkt seines Rücktritts frei bestimmen konnte, war Franz Vranitzky. Er ging 1997, weil er zu diesem Zeitpunkt zehn Jahre im Amt war, was er für eine ausreichend lange Zeit hielt. Zudem konnte er einen unbestrittenen Nachfolger präsentieren. Ein souveräner Abgang.
Sein Nachfolger Viktor Klima musste die Politik hingegen im Jahr 2000 über die Hintertür verlassen und galt, da er den Kanzlersessel verspielt hatte, in seiner Partei fortan als „Persona non grata“. Sein Nachfolger Wolfgang Schüssel wurde 2006 abgewählt – auch kein schöner Abgang. Es folgte Alfred Gusenbauer, der von seiner Partei nach nicht einmal zwei Jahren in die Wüste geschickt wurde. Werner Faymann hielt länger durch, doch 2016 pfiff seine Partei im wahrsten Sinne des Wortes auf ihn. Faymann versuchte seinen erzwungenen Abgang zwar als eigene, freiwillige Entscheidung darzustellen, doch das war politische Rücktrittskosmetik.
Diese Kunst pflegt man übrigens auch in der ÖVP. Deren Bundesparteichefs treten immer dann „freiwillig“zurück, wenn ihr Obmannsessel kein einziges unangesägtes Stuhlbein mehr hat.
Selbst der Großmeister aller Kanzler, Bruno Kreisky, ging 1983 nicht aus freien Stücken, sondern nach einer Wahlniederlage. Bei ihm kann man aber eine andere Kunst studieren, nämlich die der Rücktrittsdrohung: Vor der Volksabstimmung über das Atomkraftwerk Zwentendorf im Jahr 1978 stellte Kreisky seinen Rücktritt in Aussicht, falls das Ergebnis ein Nein sein sollte. Der absolut herrschende Kanzler erhoffte sich davon einen Mobilisierungseffekt zugunsten des Atommeilers. Jedoch: Die Abstimmung ging mit Nein aus und Bruno Kreisky trat – nicht zurück. Seine Kunst hatte darin bestanden, die Rücktrittsdrohung so verschwurbelt auszudrücken, dass er nicht darauf festgenagelt werden konnte.
Ein großer Rücktrittsdroher war auch Jörg Haider. In seiner Karriere als FPÖ-Chef drohte er immer wieder mit Rücktritt, wenn ihm in der Partei etwas nicht passte oder er ein Vorhaben durchsetzen wollte. Eine Häufung an Rücktrittsdrohungen trat in der Zeit der schwarz-blauen Koalition auf. „Ich bin schon weg“, vermeldete Haider einmal, war aber stets immer noch da.
Klarerweise kann mit Rücktritt nur ein starker Politiker drohen, dessen Abgang tatsächlich ein Schaden für das Land oder zumindest seine Partei wäre. Aus dem Munde eines Schwächlings ist eine Rücktrittsdrohung sinnlos. Sie würde dann mit einem „Ja, bitte!“quittiert. Vielleicht gibt es deswegen zurzeit so wenige Rücktrittsdrohungen.
Das geht so weit, dass Rücktritte selbst die eigene Partei auf dem falschen Fuß erwischen: Dass Eva Glawischnig alles hinschmeißen würde, erfuhren viele Grüne am Donnerstag erst aus den Medien.
Ein eigenes Kapitel sind Rücktritte infolge von Skandalen. In Österreich ist das ein sehr kurzes Kapitel, denn im Unterschied zu anderen Staaten herrscht bei uns die Meinung vor, dass erst eine rechtskräftige Verurteilung ein wirklicher Rücktrittsgrund ist. Und wenn ein Rücktritt doch unumgänglich ist, muss das noch lange nicht das Ende der politischen Karriere bedeuten. Karl Blecha, der 1989 wegen des Luconaund Noricum-Skandals als Innenminister gehen musste, ist heute als Vorsitzender des SPÖ-Pensionistenverbandes einer der wichtigsten Männer seiner Partei.
Einer, der dazu einen ganz anderen Zugang pflegte, war Wolfgang Radlegger. 1989 trat er als Salzburger LandeshauptmannStellvertreter und SPÖ-Parteichef zurück. Er hatte als Wohnbaureferent die fehlgeschlagene Sanierung der WEB verantwortet, die Jahre später zum gleichnamigen Skandal führte. Wobei „verantwortet“für Radlegger das zentrale Wort ist: „Ich war eben politisch verantwortlich. Man hat mir nie irgendwelche straf- oder zivilrechtlichen Vorwürfe gemacht. Aber ich habe Entscheidungen getroffen, die sich im Nachhinein als unzureichend erwiesen haben.“Und seine Verantwortung habe er wahrgenommen, sagt er heute. Und: „Was ich an meinem Rücktritt bedauert habe, war das, was viele Leute dann hinter meinem Rücken über mich gesagt haben. Nämlich: Er wird schon was angestellt haben, sonst wäre er nicht zurückgetreten. Das war eigentlich das, was mir am meisten wehgetan hat.“
Hochachtung zollt Radlegger deshalb auch Reinhold Mitterlehner (ÖVP) und dessen „respektablem Schritt“, zur rechten Zeit abzugehen. Wobei Radlegger generell urteilt: „Die Rücktrittskultur in Österreich ist zumindest schon besser geworden. Auch
weil der Druck der Öffentlichkeit größer ist.“Habe früher die Partei gesagt: „Wir lassen uns den nicht rausschießen“, dann habe man das oft knallhart durchgezogen.
Überhaupt war Salzburg in den vergangenen Jahren ein unerreicht spannender Ort für die Beobachtung von Rücktritten und Nichtrücktritten – vor allem wegen des Finanzskandals. Finanzreferent David Brenner (SPÖ) versuchte in einer denkwürdigen Pressekonferenz am 6. Dezember 2012 den ultimativen PR-Gag: und zwar, sich als einzig kompetenten Aufklärer und Sanierer des Spekulationsdebakels zu präsentieren. Motto: „Ich kann gar nicht zurücktreten, denn unser Land kann jetzt nicht auf mich verzichten.“Noch Monate nach seinem dann doch unvermeidlichen Rücktritt spielte Brenner mit dem Gedanken, vielleicht in die Regierung zurückkehren zu können – falls sich herausstellen würde, dass man den ganzen Berg von Swaps noch kostenneutral verkaufen könnte. Das Ergebnis ist bekannt.
In selbiger Sache wird nun bekanntlich Salzburgs Bürgermeister Heinz Schaden (SPÖ) vor Gericht müssen – am 6. Juni geht es los. Ob und wann Schaden seinen Hut nehmen wird, ist Gegenstand aufgeregten Gemunkels. Tatsache ist: Im Nachhinein betrachtet hat auch Schaden „seinen“Zeitpunkt zu gehen längst versäumt. Längst gab es einen Kronprinzen, Stadt-Vize Martin Panosch. Doch dieser musste nach internem Streit mit dem Chef gehen, im September 2013 war das. Treppenwitz der Geschichte: Panosch selbst war 2011 in eine „Dienstwagenaffäre“geraten – und trotz massiver öffentlicher Kritik nicht zurückgetreten.
Zwei andere Fixsterne der Salzburger Lokalpolitik scheinen das Wort „Ablaufdatum“ebenfalls nur von Milchpackerln zu kennen: Bürgerlisten-Stadtrat Johann Padutsch und der städtische ÖVP-Chef Harald Preuner. Sie sitzen seit 25 bzw. 13 Jahren in der Stadtregierung – Preuner will noch einmal antreten. Nachfolger: für beide keiner in Sicht.