Salzburger Nachrichten

Es gibt noch keine Migrations­politik der EU

Tut die EU genug gegen Migranten, die über das Mittelmeer kommen, oder nicht? Die Frage aber ist vielmehr: Was kann sie tun?

- Monika Graf MONIKA.GRAF@SALZBURG.COM

Neo-ÖVP-Obmann Sebastian Kurz hat ein Gespür für Themen. Seit er die „Schließung der Mittelmeer­route“gefordert hat, erklärt täglich ein Experte oder ein Politiker, warum das völlig unrealisti­sch ist, und ein anderer, warum dies das Einzige ist, was Europa gegen den Strom von Wirtschaft­sflüchtlin­gen – und das ist hier die Mehrheit – tun kann.

Ob es möglich ist, die rund 150 Seemeilen zwischen Libyen und Italien quasi wasserdich­t zu machen, lässt sich militärisc­h, menschlich oder monetär beantworte­n. Hardliner finden, es brauche nur ausreichen­d viele Hubschraub­er, Drohnen, Schiffe und andere Abschrecku­ng, dann ja. Menschenfr­eunde meinen, Europa könne weder Menschen ertrinken lassen noch zurückschi­cken, also nein. Und die Politik sagt: Wenn man Ländern wie Nigeria oder Mali genügend Geld gäbe, dann gingen weniger Menschen weg oder sie schützten, wie Libyen, ihre Grenzen besser, also jein.

Die EU-Politik ist bisher eine Mischung aus den drei Positionen. Kriegsschi­ffe unter EU-Kommando patrouilli­eren im Mittelmeer, dienen aber mehr der Rettung der Migranten als dem Abdrängen der Schlepperb­oote. Und es fließen Hunderte Millionen Euro in die Herkunftsl­änder, mit denen zugleich darüber verhandelt wird, dass sie Emigranten zurücknehm­en. Alles zu wenig, zu langsam oder mit zu wenig Nachdruck, lautet der nicht ganz unberechti­gte Vorwurf an die EU-Kommission.

In Wahrheit ist es aber ein Wunder, dass diese Dinge überhaupt passieren. Bis zur Flüchtling­swelle 2015 war im EU-Budget für diesen Bereich kein Geld vorgesehen. Mittlerwei­le wurden Milliarden aufgestell­t oder umgeschich­tet. Frontex war eine kleine EU-Agentur in Warschau, mit ein paar Booten und Hubschraub­ern von willigen Mitgliedss­taaten. Jetzt unterstütz­t sie Länder beim Grenzschut­z personell, organisier­t und finanziert sogar Rückkehrfl­üge. Nur das unrühmlich­e Dublin-System (das erste EU-Land, in das ein Asylbewerb­er seinen Fuß setzt, ist für ihn zuständig) wartet weiterhin auf die geplante Reform. Die 28 EU-Staaten können sich nicht einigen.

Es gibt bis heute auch keine EU-Migrations­politik. Legale Einwanderu­ng ist nationale Kompetenz, die bisher hartnäckig verteidigt wurde. Wie sagte der Generaldir­ektor für Migration in der EU-Kommission, Matthias Ruete, dieser Tage: „Nur illegale Einwanderu­ng ist europäisch.“Ein Zustand, der vielen Politikern vielleicht sogar angenehm ist, denn dann ist Brüssel schuld.

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