„Ein Trottel kommt selten allein“
Michael Niavarani hat wieder ein Buch geschrieben, oder besser: ein Buch darüber, wie ein Buch entstehen könnte. Denn eigentlich ist es ein Geplauder unter Nachbarn, die Badehaus an Badehaus am Neusiedler See wohnen.
Michael Niavarani hat wieder ein Buch geschrieben, oder besser: ein Buch darüber, wie ein Buch entstehen könnte. Denn eigentlich ist es ein Geplauder unter Nachbarn.
WIEN. Er gilt trotz persischer Wurzeln als lustigster Österreicher, Michael Niavarani ist allerdings enorm umtriebig, im Globe Theater Wien, das er neben dem Simpl betreibt, spielt er Shakespeare, er macht Kabarettprogramme und vieles mehr. SN: In Ihrer Branche kriegt jeder eine Punze. Was würden Sie gern hinter Niavarani lesen: Kabarettist, Comedian, Hofnarr, Schauspieler, Theater- direktor, Bestsellerautor? Michael Niavarani: Am liebsten würde ich lesen „Komiker“. Komiker ist die Übersetzung des englischen „Comedian“. Der deutsche Comedian ist ja kein Komiker, der ist Comedian. Das würde ich also am liebsten lesen – und würde man das noch in einem Pass eintragen, würde ich hinschreiben: Komiker. SN: Sie wurden durch das Fernsehen richtig berühmt, quasi Quote durch Zote. Was, glauben Sie, erwarten sich die Leute von Ihrem Buch? Nachdem das jetzt das dritte Buch ist, wissen sie ungefähr, was sie erwartet – falls sie die ersten zwei kennen. Und das wird sie wieder überraschen, weil dieses Buch ziemlich anders ist als die ersten beiden. Sie erwarten sich wie bei allem, was ich mache, dass die Zeit, die sie mit mir oder meinen Produkten, sei es ein Buch oder eine DVD, verbringen, dass die nicht vergeudet ist. Und ich hoffe, dass ich die Zeit des Menschen, der das Buch liest, nicht vergeudet habe. SN: „Ein Trottel kommt selten allein“klingt zielsicher. Also Depp, Idiot, Vollkoffer, Fetznschädl, Tschriasche etc. kamen gar nicht infrage? Ein Trottel ist eben ein Trottel. Und es gibt Trotteln, die sind keine Idioten. Wenn man das geschrieben liest, spürt man den Unterschied nicht so. Also ich ersuche die Leserinnen und Leser des Interviews, sich den Satz mit den Trottel laut vorzulesen, dann versteht man ihn erst richtig. SN: Eigentlich ist das ein Buch über die Entstehung eines Buchs. Sie erzählen einem Nachbarn am Badeteich Ihre geplanten Geschichten. Ist dieser Friseur ein Sparringpartner, ein guter Trick, um schwadronieren zu können? Am Ende des Buchs gibt es den Satz, dass es irgendwann einmal ein Buch geben wird. Man hat mir vorgeworfen, es wäre zu kompliziert. Und diesen Nachbarn gibt es wirklich. Unser Gespräch hat nicht so lang gedauert, die Sparringpartner des Buchs sind mehrere Menschen, die ich zusammengefasst habe. Aber es gibt diese Leute, denen ich erzähle, was ich vorhabe. Eigentlich mache ich das ununterbrochen, ich sage ununterbrochen irgendjemandem: „Weißt du, was cool wäre, man könnte doch da was draus machen.“Mein Tagesablauf beginnt damit, dass ich irgendwen anrufe und ihm sage: „Weißt du, wäre das nicht gut, wenn man aus dem oder dem ein Stück machen würde?“Und dann sagen die Leute zu mir: „Du hast eh schon so viel zu tun, jetzt hör einmal auf damit.“ SN: Auf Seite 226 sagen Sie zum Gesprächspartner: „Prost, bist eh ein Trottel.“Das klingt wie ein respektvolles Kompliment. Natürlich, wenn man jetzt das Wienerisch betrachtet, ist ja das Attribut Trottel fast ein Kompliment. Also mein österreichischer Großonkel, der Onkel Franz, hat seine liebsten Freunde mit den Worten „Seavas, Deppata!“begrüßt, das war ein Liebesbeweis. Leute, die er nicht mochte, hat er mit „Küss die Hand, Frau Hofrat“begrüßt. Und da habe ich gewusst, wenn der freundlich grüßt mit „Küss die Hand, Frau Hofrat“, dann mag er die Dame nicht. SN: Was muss man Sie fragen, um die Antwort „Heast, Trottel, das ist a deppate Frage!“zu erzielen? Erstens würde ich mir das in unserem Gespräch nicht erlauben, weil so gut kennen wir uns nicht. Wir sind noch nicht per Trottel. Also man ist zuerst per Sie, dann ist man lange Zeit per du, und wenn man sich wirklich gut kennt, erst dann darf man per Trottel sein. SN: Man hat den Eindruck, beim Schweinigeln halten Sie sich schriftlich eher zurück als beim Gscheiteln. Ein Reinheitsgebot des Verlags? Überhaupt nicht. Die ordinäre Pointe oder der vulgäre Satz passt dorthin, wo er hingehört. Da gab es in diesem Buch nicht so viele Stellen, wo er hingehört. Das war keine bewusste Entscheidung, genau wie es keine bewusste Entscheidung ist, dass ich „Oasch“oder „pudern“sage. Entweder passt’s oder es passt nicht. Und in dem Buch hat es einfach nicht so gepasst. SN: „Pudern“kommt aber einmal vor . . . Wirklich? Ich weiß das gar nicht mehr. Wo? SN: Wollten Sie – trotz Ihrer pointierten Erzählweise – Bildungsgut unters Volk streuen? Kämpfen Sie so gegen das Schulsystem an? Was sich als Anliegen herausgestellt hat, war: Es gibt so viele Themen, die Ihnen in unserem Schulsystem vermiest werden, die aber so unglaublich cool, interessant, spannend, witzig sind – und auch unglaublich. Ich stolpere nächtlich über diese Fakten, von Fußnote zu Fußnote. Es mag vielleicht das eine oder andere die Leserin und den Leser langweilen. Aber ich kann mit gutem Gewissen sagen, ich habe nichts in dieses Buch hineingegeben, von dem ich nicht selbst unendlich fasziniert bin. SN: Da gibt es Geschichten wie die des Hofnarren Gonella, sogar illustriert mit dem Fouquet-Porträt aus dem Kunsthistorischen Museum, oder die Witwe von Ephesus samt Quellenangaben, das ist beinahe wissenschaftlicher Eifer. Wissenschaftlich ist das nicht, es ist emotional. Ich bin über die Geschichte von Gonella gestolpert und habe mir gedacht, die möchte ich weitererzählen, da muss man was draus machen. Ich google also den Gonella und komme drauf, da hängt ein Porträt von dem bei uns im Kunsthistorischen Museum! Das Porträt ist im Buch nicht um zu g’scheiteln oder um was zu beweisen, sondern emotional. An der Stelle, wo wir das größte Unglück des Gonella – ich will das nicht verraten – erfahren, habe ich ein Gesicht zu ihm. Das ist eigentlich ein Kitschmoment, da wird plötzlich die Kunstgeschichte zum Kitsch. SN: Man staunt ohnehin über die Bandbreite Ihrer Interessen, die zurückreichen bis zur exakten Entstehung der Zivilisation – nur weil einer endlich einen knusprigen Schweinsbraten essen wollte. Ein Vorfahre von Ihnen? Was mich von allen Dingen am meisten fasziniert, ist, dass wir Säugetiere sind, die eben eine Zivilisation geschaffen haben. Und ich frage mich bei vielen Dingen sehr oft: Wie ist es eigentlich dazu gekommen? Es muss doch von allem ein erstes Mal gegeben haben. Es war nicht von vornherein selbstverständlich da, sondern es muss irgendwann einmal irgendwer zum ersten Mal einen Witz erzählt haben. Zum allerersten Mal hat jemand versucht, jemanden zum Lachen zu bringen. Zum allerersten Mal hat jemand das Feuer gezähmt, zum allerersten Mal hat jemand ein Haus gebaut und gesagt, passt’s auf, jetzt gehen wir doch von den Bäumen runter. Das fasziniert mich total und ich wäre da wahnsinnig gern dabei gewesen. Weil ich finde, das zeigt, welch wunderbare Wesen wir sind und was für großartige kulturelle Leistungen wir hervorbringen können. Die Entstehung der Kunst, die Entstehung der Musik. Die Entstehung der Wissenschaft ist eh dokumentiert. Irgendwann muss sich ein Lebewesen, das ein Mensch war, gefragt haben, wie funktioniert das eigentlich, dass das Wasser von oben herunter kommt? Warum? Wo kommt das her? Und das ist der Punkt, die Essenz des Menschseins, unsere Neugierde. Dass wir diese Zivilisation, in der wir leben, geschaffen haben, ist eigentlich unglaublich. SN: Ihre Liebe zu Shakespeare musste auch rein. Sie sind ja mittlerweile totaler Experte. Das musste rein, aber ich trau mich nicht, mich Experte zu nennen, weil ich habe dafür kein Diplom bekommen. Aber auch da kippe ich aus Liebe und Faszination zu diesem Shakespeare, zu diesen Menschen, die damals Theater gemacht haben, hinein. Ich bin auf der Suche nach der persönlichen Begegnung mit diesen Menschen, die es natürlich nie geben wird. Und da stolpere ich wie gesagt von einer Fußnote zur anderen und bin ganz erstaunt und fasziniert, was da alles los war. Ich habe mir auch überlegt, ein Buch über Shakespeare zu schreiben, aber das muss einen ganz besonderen Ansatz haben. Ich habe schon vor, Dinge, die Shakespeare passiert sind, Dinge, die in den Stücken vorkommen, Geschichten, Emotionen, Momente, ans Tageslicht zu zerren. Alles, was ich weiß oder mir angelernt habe, ist ja unter Literaturprofessoren oder Theaterwissenschaftern Gemeingut. Bin ja nur ich so fasziniert, weil ich das bis jetzt nicht gewusst habe. Bei vielen Dingen, die ich erfahre, sagen die Leute: „Jo eh, weiß ich eh.“ SN: Wollten Sie auch etwas bewahren, bevor es vergessen ist, Anekdoten von Qualtinger bis Otto Schenk, Scherzgedichte aus Ihrer Jugend, Zitate etc.? Ich werde es nicht miterleben, aber ich hätte große Freude, wenn in 400 Jahren in einem Antiquariat jemand dieses Buch um 5 Cent kauft und drin liest und sich genau wie ich bei antiquarischen Büchern denkt: Das gibt’s ja net! Sehr interessant, ach, lustig! Es stehen schon auch Sachen drin, die ich reingeschrieben habe, weil ich möchte, dass sie irgendwie bestehen bleiben. SN:Eigentlich ist Ihr Sujet schwer vorstellbar, Sie in einer Badehütte so eng an den Nachbarn, dass man jeden Furz hört. Das ist wirklich so. Meine Lebensgefährtin hat eine beste Freundin, die dort ein Haus hat, und da wurde das Nebenhaus frei. Und dann haben wir beschlossen, das mieten wir auch für ein Jahr oder so. Und jetzt sitz ich da sehr gern. Unter sehr netten Nachbarn, vor denen ich mich am Anfang gefürchtet habe, so wie ich mich immer vor fremden Menschen ein bisschen fürchte. Da sind sehr nette Menschen, die so getan
„Am liebsten lese ich hinter meinem Namen: Komiker.“Michael Niavarani, Komiker „Ich frage mich bei vielen Dingen: Wie war das zum allerersten Mal?“Michael Niavarani, Buchautor „Ich fürchte mich immer ein bisschen vor fremden Menschen.“Michael Niavarani, Star
haben, als würden sie mich nicht kennen, weil sie mir nicht auf die Nerven gehen wollten. Was dann wieder zu einer Enttäuschung meinerseits geführt hat. Das gibt’s doch nicht, dass die mich nicht kennen, ich bin doch ein Star! Also das ist eine verzwickte Situation gewesen. Das sind Menschen, mit denen ich gern Zeit verbringe. Es ist wirklich sehr eng dort. Also ich traue mich wirklich nicht zu furzen. SN: Haben Sie überhaupt Zeit für den See? In Wirklichkeit habe ich – ich möchte fast sagen – unendlich viel Zeit. Weil ich sowieso zu viel vorhabe. Und es gibt Tage, da wünsche ich mich hin an den Neusiedler See, und dann gibt’s Tage, da bin ich am Neusiedler See – und wünsche mich in mein Arbeitszimmer. Also es geht sich alles deshalb aus, weil es sich eh nie ausgeht. Buch: