Die frühe Evolution der Tiere verlief rasanter als gedacht
Die ersten Stämme sind nach erdgeschichtlichen Maßstäben kurz nacheinander entstanden.
Fossile Funde beweisen, dass zu Beginn des Kambriums vor etwa 540 Millionen Jahren bereits Vertreter fast aller heute bekannten Tierstämme existierten. Diese Fossilien besitzen aber so komplexe Morphologien, sodass die Ursprünge der Tiere deutlich weiter zurückliegen müssen. Sicher zugeordnete und datierte Fossilien aus früheren Epochen sind allerdings nur sehr spärlich vorhanden.
Wissenschafter brauchen jedoch verlässliche Schätzungen über das geologische Alter der Tiere und ihrer ältesten Untergruppen, der Schwämme, Nesseltiere, Rippenquallen und Plattentiere, um sagen zu können, wie der Stammbaum der Tiere sozusagen an seiner Wurzel aussieht. Martin Dohrmann und Gert Wörheide vom Lehrstuhl für Paläontologie und Geobiologie der Ludwig-Maximilians-Universität München haben deshalb mithilfe einer molekularen Uhr die frühe Evolution der Tiere untersucht und abgeschätzt, wann die ältesten Tierstämme entstanden.
Das Prinzip der molekularen Uhr beruht darauf, dass sich im Verlauf der Evolution genetische Veränderungen im Erbgut ansammeln. Spalten sich zwei Stammeslinien von einem gemeinsamen Vorfahren ab, unterscheidet sich ihr Erbgut deshalb umso mehr, je länger die Trennung zurückliegt.
„Wir haben für unsere Analysen genetische Daten von heute lebenden Tieren mit Informationen von gut datierten Fossilien aus Epochen nach dem Kambrium kombiniert und in einem aufwändigen Verfahren mit komplexen Computeralgorithmen analysiert“, sagt Dohrmann.
Die Ergebnisse bestätigten frühere Studien, die den Ursprung der Tiere auf das Neoproterozoikum datieren, also auf etwa 540 bis 1000 Millionen Jahre vor unserer Zeit. Zur Überraschung der Wissenschafter legten ihre Analysen allerdings nahe, dass sich die frühen Tierstämme sowie die ersten Vorfahren der Zweiseitentiere, der sogenannten Bilateria, nicht nach und nach über sehr lange Zeiträume von einem gemeinsamen Vorfahren abgespalten haben, sondern alle innerhalb von etwa 50 Millionen Jahren entstanden sind. Das ist in geologischen Maßstäben gesehen ein äußerst kurzer Zeitraum. „Zudem fand diese evolutionäre Aufspaltung interessanterweise vor der Ära der „Schneeball-Erde“statt, einer Zeit langfristiger globaler Vereisungen, die etwa 720 bis 635 Millionen Jahre zurückliegt“, sagt Dohrmann.
Als nächsten Schritt braucht es nach Ansicht der Wissenschafter zusätzliche Analysen.
„Um schließlich auch fundierte Aussagen über das Aussehen und die Lebensweise der frühen Tiere machen zu können, brauchen wir außerdem noch mehr Erkenntnisse über die Umweltbedingungen im Neoproterozoikum sowie mehr Fossilien aus dieser Zeit, die sich eindeutig zuordnen lassen“, sagt Wörheide.