Altenpflege als Stoff für eine Oper
Buch einer Salzburgerin inspirierte Regisseur zu modernem Musiktheater.
SALZBURG, WIEN. Im ersten Moment habe sie geglaubt, die zu Jahresbeginn eingetrudelte E-Mail sei ein Scherz, sagt die Salzburger Autorin und Gerontologin Sonja Schiff. Doch das Ansinnen von Thomas Desi, dem künstlerischen Leiter der Musiktheatertage Wien, mit einer Eigenproduktion die Themen Leben im Alter und Altenpflege auf die Bühne zu bringen, war durchaus ernst gemeint.
„Das hat mich extrem überrascht, denn die meisten Menschen verbinden mit Altenpflege nur Unangenehmes“, sagt Schiff. Die Altenpflege ringe darum, in einem anderen Licht dargestellt zu werden.
Bei der Recherche für das Stück war Desi auf Schiffs Buch „10 Dinge, die ich von alten Menschen über das Leben lernte“(edition a Verlag) gestoßen, in dem Schiff vor zwei Jahren ihre Einsichten als Altenpflegerin zu Papier gebracht hatte. Sie schildert darin intensive Begegnungen mit hochbetagten Menschen und überrascht die Leser mit der Erkenntnis, dass Altenpflege der „coolste Job der Welt“sei.
Nach einem zweistündigen Gespräch mit Desi am Bahnhof in Wien war das Projekt auf Schiene. „Wir waren sofort auf einer Wellenlänge“, erzählt Schiff. Es sei sehr mutig, Altenpflege als Thema für ein modernes Musiktheater auszuwählen.
Auf der Grundlage von Schiffs Erfahrungen als Pflegefachkraft in einem Seniorenheim, in der Hauskrankenpflege und als Pflegemanagerin eines ambulanten Pflegedienstes schrieb Desi das Drehbuch und führt Regie. Jörg Ulrich Krah komponierte die Musik für Saxofon, Violoncello und Klavier, die durch Live Electronics ergänzt wird.
Heute, Freitag, wird die Oper unter dem Titel „Tanzcafé Schweigepflicht“bei den Musiktheatertagen in Wien uraufgeführt. Die Rollen im Stück sind bewusst mit jungen Schauspielern und einer Opernsängerin besetzt, die bei einem Casting ausgewählt wurden. Als einzige Seniorin steht Birgit Stimmer auf der Bühne. Die ehemalige Beamtin spielt regelmäßig im Wiener Seniorentheater WUK.
„Wir greifen mit dem Festival immer aktuelle sozialpolitische Themen auf“, erklärt Desi. „Die authentisch erzählten Geschichten von Sonja Schiff haben mich berührt.“Das Musiktheater handle von den tatsächlichen und scheinbaren Einschränkungen des Alters und deren Überwindung. Es sei aber vor allem ein Stück über die Würde, Weisheit und Lebensfreude alter Menschen.
In ihrem Buch schildert Schiff, wie sie mit 22 Jahren als frischgebackene psychiatrische Diplomkrankenschwester zum ersten Mal eine Hundertjährige traf. „Diese Begegnung war für mich eine Sternstunde.“Sie verdanke dieser Frau, dass in ihr die Begeisterung für Altenpflege erwacht sei. Der Tag, an dem ihr die Seniorin mitgeteilt habe, dass sie wohl in den nächsten Tagen sterben werde, habe ihr Leben verändert. „Ich habe sie zunächst in jugendlicher Oberflächlichkeit nicht ernst genommen, aber sie hat mich gelehrt, dass Pflege Präsenz und Ehrlichkeit verlangt und dass der Umgang mit pflegebedürftigen Menschen eine Frage der inneren Haltung ist.“
In einer anderen Geschichte erzählt Schiff von einer Frau, die im Heim partout nicht an den diversen Aktivitäten wie etwa der Singstunde teilnehmen wollte und auf die Frage, was sie denn den ganzen Tag alleine in ihrem Zimmer mache, meinte: „Ich sterbe bald, deshalb habe ich viel zu tun. Ich frage mich, was habe ich gut gemacht im Leben und wo habe ich Fehler gemacht, bei wem muss ich mich entschuldigen, mit wem möchte ich noch etwas klären und was würde ich rückblickend anders machen. Ich habe wirklich viel zu tun. Singen würde mich nur ablenken.“
Schiff schreibt derzeit an ihrem nächsten Buch, für das sie Interviews mit Pflegekräften führt. Der Titel: „Magische Momente in der Altenpflege“.
„Altenpflege ist der coolste Job der Welt.“Sonja Schiff, Autorin und Gerontologin