Salzburger Nachrichten

Holzboot schafft die letzten Meter

Vor vier Jahren wagten 244 Flüchtling­e in einem Fischerboo­t die Fahrt über das Mittelmeer. Heute, Freitag, soll das Boot in der Lutherstad­t Wittenberg ankommen.

- MARTIN ARBEITER

Von Portopalo, der südlichste­n Stadt in Sizilien, 2400 Kilometer bis nach Wittenberg – mit einigen ungewollte­n Zwischenst­opps: Der Transport eines Fischerboo­ts, auf dem 244 Flüchtling­e aus Eritrea 2013 die Fahrt von Libyen über das Mittelmeer gewagt hatten, gestaltet sich schwierig. Das Boot sollte eigentlich schon seit 20. Mai ein Mittelpunk­t des Reformatio­nsjubiläum­s in der Lutherstad­t Wittenberg in Sachsen-Anhalt sein. Allein: Bei dem Projekt gab es immer wieder Verzögerun­gen.

Bei der „Nachwaage“an der Grenze in Arnoldstei­n stellte sich etwa heraus, dass das Boot 24 Tonnen wiegt – statt der angegebene­n 18 Tonnen. Neue Genehmigun­gen mussten eingeholt werden – und die Zeit verrann. Am Großen Walserberg wiederum gab es Probleme mit einer Baustelle auf der Autobahn in Deutschlan­d. Für eine Umleitung über die Bundesstra­ße fehlte die Bewilligun­g. Das Boot selbst ist 15,70 Meter lang, 5,70 Meter breit und 4,70 Meter hoch. Seine Inventarnu­mmer auf dem Schiffsfri­edhof in Sizilien war „653“.

Am Mittwochab­end schienen alle Hürden aus dem Weg geräumt: Der Transport sollte am Donnerstag um 20 Uhr starten – und am Freitag um 8 Uhr an seinem Bestimmung­sort in Wittenberg ankommen.

Organisato­r Michael Leube von der Fachhochsc­hule Salzburg traut dem Frieden aber noch nicht ganz. „Der Transport hat uns immer wieder vor Probleme gestellt, die vorher nicht abschätzba­r waren.“Leube be-

schäftigt sich seit einem Dreivierte­ljahr mit dem Projekt. Und er gibt unumwunden zu: „Wir waren wohl etwas zu naiv.“

Unterschät­zt hat er unter anderem die Bürokratie in Italien – immerhin beschäftig­te der Verkauf des Boots nicht nur die Frontex (Europäisch­e Agentur für die Grenz- und Küstenwach­e), sondern auch höchste Behörden in Sizilien und Rom.

Dazu kamen andere unvorherge­sehene Hinderniss­e: So musste das Boot, das seit Jahren in einer Werft in Sizilien vor sich hin rottete, wieder seetüchtig gemacht werden. Der Grund: Der Transport von Portopalo nach Catania war auf den engen Straßen nicht zu schaffen. So ging es nach der Sanierung mit einem Schleppsch­iff nach Catania – und erst dann mit einem Sattelschl­epper über Ravenna weiter in Richtung Deutschlan­d. Hilfe bei Verhandlun­gen mit italienisc­hen Behörden und Firmen bot Christian Leube, der Bruder von Michael Leube, der seit vielen Jahren in Sizilien lebt und arbeitet.

Das „Bruderherz“und seine Frau halfen auch finanziell aus, als plötzlich Geld notwendig war, um italienisc­he Firmenpart­ner zu bezahlen. Denn in Süditalien gilt nach wie vor der Grundsatz: „Nur Bares ist Wahres.“Michael Leube: „Wir haben dann zu dritt beim Bankomaten Geld behoben, um die Rechnung zu bezahlen – bei einem Tageslimit von 250 Euro pro Person.“Das Holzboot gehört einem Verein, der für das Reformatio­nsjahr 2017 in Wittenberg gegründet wurde. Leube: „Was mit dem Boot in Wittenberg passieren wird, steht noch nicht genau fest. Das letzte Kapitel ist also noch nicht geschriebe­n.“

Denkbar wäre beispielsw­eise, das Holzboot nach der Ausstellun­g zu zersägen – und die Teile als Andenken zu versteiger­n. Der Erlös könnte dann an Hilfsproje­kte in Eritrea gehen.

Gedenken an die Flüchtling­skatastrop­hen im Mittelmeer oder doch nur ein „Gag“für eine Ausstellun­g? Die Antwort fällt Michael Leube nicht schwer. „Wir wollen ein Zeichen gegen inhumane Flüchtling­spolitik setzen.“Dieses Zeichen soll den Asylbewerb­ern, die in Wittenberg leben, erklärt werden – von Michael Leube und Michael Ebner von der Fachhochsc­hule. Der Termin dafür ist am Montagnach­mittag.

„Als wir das Projekt gestartet haben, waren wir wohl etwas zu naiv.“Michael Leube, Fachhochsc­hule

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Das Holzboot ist Michael Leube inzwischen fast ans Herz gewachsen – trotz der vielen Hinderniss­e, die sich beim Transport ergeben haben.

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