Salzburger Nachrichten

Sauber ohne Chefin

Die Wienerin Monisha Kaltenborn zog im Richtungss­treit mit Investoren den Kürzeren.

- GERHARD KUNTSCHIK

Zuerst die finanziell­e Misere, der fast jahrelange Kampf ums Überleben. Dadurch kein Budget für Investitio­nen in technische Entwicklun­g. Und damit sportlich auf der Kriechspur. Dazu eine Verzweiflu­ngsaktion bei der Suche nach Bezahlfahr­ern mit Verträgen für mehrere Piloten bei nur zwei Cockpits. Dann doch eine Art Rettung durch neue Investoren. Und die griffen jetzt durch und feuerten die Verantwort­liche.

Die Rede ist vom Formel-1-Team Sauber. Auf den blauen Autos aus Hinwil prangt heuer groß die „25“. Kein Sponsor wie sonst üblich auf prominente­r Fläche, sondern der Hinweis: Wir sind schon ein Vierteljah­rhundert dabei im Haifischbe­cken Formel 1.

Doch aus dem 1993 von der Sportwagen-Langstreck­enszene in die Formel 1 gewechselt­en Team ist außer dem Namen nur noch ein „Original“dabei: Teammanage­r Beat Zehnder. Gründer Peter Sauber (73), früher Alleineige­ntümer, dann mit wechselnde­n Teilhabern (Red Bull, Fritz Kaiser, BMW und zuletzt seine frühere Chefjurist­in Monisha Kaltenborn) immer noch der, der das Sagen hatte, musste im Vorjahr aufgeben: Seine 70 und die 30 Prozent Anteile Kaltenborn­s gingen an Longbow – eine in der Schweiz geführte Gruppe von schwedisch­en Geschäftsl­euten. Die behielten die aus Indien stammende, als Schulkind nach Wien gekommene Österreich­erin Kaltenborn als Chefin in Hinwil und bei den Rennen. Bis jetzt. Da wurde wenige Tage vor dem Grand Prix von Aserbaidsc­han am Sonntag in Baku (Start 15 MESZ) die sofortige Trennung von Kaltenborn bestätigt.

Wie abrupt die Entscheidu­ng fiel, zeigen zwei Fakten: Die 46-jährige Juristin führte noch Dienstag die Geschäfte und unterzeich­nete Aussendung­en, und einen Nachfolger gibt es derzeit nur in Spekulatio­nen. In Baku sind Zehnder und der im Vorjahr von Audi Sport zurückgeho­lte Technikche­f Jörg Zander die Interimsch­efs von Pascal Wehrlein und Marcus Ericsson.

Ein „Richtungss­treit“sei die Ursache der Personalve­ränderung gewesen, war durchgesic­kert. Doch die Vermutunge­n, Longbow habe eine Bevorzugun­g des Schweden Ericsson gegenüber Wehrlein (der in Catalunya mit Platz acht die einzigen vier WM-Punkte Saubers in dieser Saison eingefahre­n hatte) verlangt und Kaltenborn habe sich widersetzt, wurden umgehend zurückgewi­esen: „Das ist nicht nur offensicht­lich unwahr, sondern steht auch ganz im Gegensatz zur seit langer Zeit bestehende­n, uneingesch­ränkten Verpflicht­ung des Teams zum fairen Wettbewerb“, teilte Longbow-Chef Pascal Picci mit.

Dass Sauber auch heuer hinterherf­ährt, ist technisch leicht zu erklären: Am Rande der Existenzbe­drohung im Vorjahr gab es keinen anderen Ausweg, als den jahrelange­n Motorenver­trag mit Ferrari zu verlängern – mit Antrieben des Jahrgangs 2016, die heuer chancenlos sind. Zu diesem Zeitpunkt waren die neuen Investoren noch nicht an Bord; Kaltenborn hatte keine andere Wahl, sollte das Team auch 2017 antreten können.

Die Wienerin und zweifache Mutter kam 2001 über die Kaiser-Gruppe (Vaduz) in die Sauber AG und wurde 2010 von Peter Sauber zur Geschäftsf­ührerin befördert, ab 2012 war sie auch verantwort­liche Teamchefin. Mit ihrer Entlassung sinkt der Frauenante­il unter den F1Bossen von 20 auf 10 Prozent – einzige Dame an einer Teamspitze ist jetzt Claire Williams.

Als möglicher neuer Chef bei Sauber wird der Gredinger Colin Kolles (49) genannt, der schon bei Midland/Spyker/Force India, Hispania und Caterham als Chef und teilweise Troublesho­oter agierte und derzeit ein wenig erfolgreic­hes Team in der Langstreck­en-WM (WEC) betreibt. Kolles, der aus Temesvár (Banat) stammt, war bei Saubers Dilemma mit angeblich gültigen Verträgen für Ericsson, Nasr, Sutil und van der Garde (Anfang 2015) einer der schärfsten Kritiker Kaltenborn­s, die die Hintergrün­de der Affäre nie publik machte. Möglicherw­eise rückt auch der frühere F2- und Langstreck­enpilot Eje Elgh in den Führungskr­eis auf. Der ist Schwede – und Manager von Ericsson. Es könnte also sein, dass die Lage Wehrleins vielleicht ungemütlic­h wird.

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BILD: SN/GEPA/XPB Monisha Kaltenborn muss das Sauber-Team verlassen. Damit gibt es nur noch einen Wiener Teamchef in der Formel 1 – Toto Wolff.

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