Harte Konkurrenz für Wien bei EU-Arzneimittel-Agentur
Ein „Eurovision Song Contest“-Modus entscheidet über den neuen Standort, osteuropäische Länder haben Vorrang.
BRÜSSEL. Am Montagabend hatten Diplomaten und Beamte, die in Brüssel mit dem Thema Gesundheit zu tun haben, fast alle das gleiche Ziel: die dänische EU-Vertretung. Dort präsentierten Dänemarks Gesundheitsministerin Ellen Trane Nørby und Kopenhagens Bürgermeister Frank Jensen, welche Vorteile es hätte, wenn die EU-Arzneimittel-Agentur EMA in die dänische Hauptstadt übersiedeln würde.
Die Zulassungsbehörde für Medikamente muss – ebenso wie die EUBankenaufsicht EBA – wegen des Austritts Großbritanniens aus der EU aus London weg. In der Nacht auf Freitag haben sich die EUStaatsund -Regierungschefs zunächst darauf geeinigt, dass mit einer Art Punktesystem wie beim Eurovision Song Contest entschieden wird, wer die begehrten Brexit-Trophäen bekommt. Bisher legte die EU-Kommission eine Shortlist für Standortwahlen vor, die Entscheidung hatte oft Jahre gedauert. Nahezu jedes Land hat sich für eine der beiden Agenturen beworben. So direkt und umfassend wie Kopenhagen hat bisher aber nur Dublin seine Vorzüge präsentiert. Beide Städte sollen laut EU-Diplomaten gute Chancen im Rennen um die Arzneimittel-Agentur haben, ebenso wie Wien, Amsterdam und Barcelona, das einst London knapp unterlegen ist. Mit fast 900 großteils hoch qualifizierten Mitarbeitern gilt die EMA als Filetstück des Brexit. Die EBA hat rund 200 Beschäftigte, hier gilt Frankfurt als Favorit. Die Agenturen richten jährlich Hunderte Konferenzen und Veranstaltungen mit Experten aus aller Welt aus. Zuletzt sorgten sie in London für rund 39.000 zusätzliche Hotelübernachtungen pro Jahr.
Österreich habe den Song Contest zwei Mal gewonnen, „also insofern wissen wir, wie es geht“, sagte Bundeskanzler Christian Kern. „Unsere Chancen sind an sich erstklassig.“Österreich habe ein umfassendes Angebot gemacht und wolle im Biotech-Sektor weiter wachsen, betonte Kern. In der 2016 aufgelegten Hochglanzbroschüre mit Österreichs Angebot werden etwa die ehemalige Postsparkasse und die einstige Bank-Austria-Zentrale als möglicher Sitz angeboten. Als Lobbyist ist der frühere EU-Botschafter in Brüssel, Gregor Woschnagg, unterwegs.
Die Bewerbungsfrist endet am 31. Juli. Bis 30. September soll die EU-Kommission die Angebote bewerten. Im Oktober sollen die Europaminister darüber politisch diskutieren und im November darüber abstimmen. Entscheidende Kriterien sind die Garantie, dass die Agenturen bis zum Brexit Ende März 2019 am neuen Standort die Arbeit aufnehmen können, dass es exzellente Verkehrsverbindungen gibt, qualifiziertes Personal, ausreichend Betreuung und Bildungseinrichtungen für Kinder sowie Arbeitsmöglichkeiten für Lebenspartner der Agentur-Mitarbeiter.
Das geheime Wahlverfahren sieht bis zu drei Wahlgänge vor. In der ersten Runde hat jedes der 27 Mitgliedsländer sechs Punkte: drei für den bevorzugten Standort, zwei für den zweitbesten, einen für den drittbesten. Bekommt kein Land von 14 Ländern drei Punkte, gibt es eine zweite oder dritte Runde mit drei Bestplatzierten. Dann hat jedes Land nur noch eine Stimme.
Beobachter schließen nicht aus, dass es Überraschungen gibt. Am Freitag tauchten Gerüchte auf, Deutschland und Frankreich hätten die Vergabe bereits paktiert. Auch die vorgeschaltete politische Diskussion macht das Ergebnis schwer vorhersagbar. Es gilt, was bei der EU-Erweiterung vereinbart wurde: dass die 2004 beigetretenen EUStaaten, die noch keine EU-Agentur beherbergen, den Vortritt bekommen sollen. In diesem Fall würde Österreich wohl Bratislava seine Stimme geben, weil davon zumindest der Flughafen Wien profitieren könnte.
„ Österreich hat zwei Mal gewonnen, also insofern wissen wir, wie es geht.“Christian Kern, Bundeskanzler