Brexit bedroht Erdbeere
Genau vor einem Jahr stimmten knapp 52 Prozent der Briten für den Ausstieg aus der Europäischen Union. Jetzt bereuen manche Bürger auf der Insel ihre Entscheidung bitterlich.
Schon als Boris Becker 1985 in Wimbledon das Turnier gewann, futterten die Zuschauer als Pausensnack Erdbeeren. Das Schälchen Früchte mit Schlagobers gehört zu der legendären Veranstaltung im Südwesten Londons wie der auf acht Millimeter getrimmte „heilige Rasen“. 28 Tonnen verspeisen die Tennisfans jährlich. Und um die Erdbeeren so frisch wie möglich anzubieten, werden sie in den frühen Morgenstunden desselben Tages gepflückt.
Das könnte sich in diesem Jahr ändern. Und schuld daran ist, wie derzeit so oft im Königreich, der bevorstehende Brexit. Es war der Branchenverband British Summer Fruits, der zuerst Alarm schlug und vor einer Zerstörung einer „Kult“-Industrie warnte. Durch die Folgen des EU-Austritts des Landes könnte erst die Zahl der Arbeiter sinken, dann der Anbau der Erdbeeren zurückgehen.
Die Landwirtschaft auf der Insel hängt stark von den 80.000 benötigten Saisonarbeitern ab, die jedes Jahr in mühsamer Arbeit Gemüse und Früchte ernten. Nur 14 von den 13.400 Helfern, die von Jänner bis Mai rekrutiert wurden, stammen aus Großbritannien, ergab eine Umfrage des nationalen Bauernverbands NFU. Drei Viertel dagegen aus Bulgarien und Rumänien, die anderen ausnahmsweise aus den übrigen osteuropäischen Ländern.
Warum bleiben sie schon jetzt öfter zu Hause, als den Weg über den Ärmelkanal auf sich zu nehmen? Viele Landwirte schieben die Schuld auf das Brexit-Votum. Das Königreich werde bei Arbeitskräften aus dem Ausland zunehmend als „ausländerfeindlich“und „rassistisch“wahrgenommen, hieß es. Zudem ist der Kurs des Pfunds stark gefallen. Die Sorge, dass reife Erdbeeren in Zukunft auf den Feldern verfaulen, statt an den überteuerten Ständen in Wimbledon zu landen, treibt die Branche um. Plötzlich melden sich gar Bauern, die genau vor einem Jahr den Brexit noch euphorisch gefeiert haben – am Morgen des 24. Juni stand die historische Entscheidung fest.
Landwirt Harry Hall etwa hat für den Austritt gestimmt. Doch statt über die vermeintlich zurückgewonnene Souveränität zu jubeln, spürt er, offenbar zur eigenen Überraschung, persönlich die Folgen seines Kreuzchens. Seine Früchtefarm im Süden Englands werde zugrunde gehen, wenn er künftig nicht weiterhin einfach Arbeiter aus dem Rest der EU anheuern könne, klagte er gegenüber Medien. Der Preis für die beliebtesten Sommerfrüchte des Landes könnte dann um 35 bis 50 Prozent steigen.
Ein Insider erzählt, 99,9 Prozent aller Wimbledon-Erdbeeren würden von Osteuropäern gepflückt.