Wenn Politiker keinen Plan haben, erfinden sie ein neues Staatsziel
Ob am Flughafen Wien eine dritte Piste gebaut werden darf, soll man politisch entscheiden. Das hat in der Verfassung nichts verloren.
Kommenden Montag sollte im Verfassungsausschuss des Nationalrats beschlossen werden, Österreichs Bundesverfassung um ein Staatsziel anzureichern. Demnach sollte sich die Republik Österreich künftig auch zu „Wachstum, Beschäftigung und einem wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandort“bekennen. So wie sie es bereits zum Umweltschutz, zu hochqualitativen Lebensmitteln, zur nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen, zum Tierschutz, zur Wasserversorgung als Daseinsvorsorge oder auch zur Bedeutung der Forschung tut.
Daraus wird nichts, die Regierung hat ihr Vorhaben ob der Kritik daran auf die nächste Legislaturperiode verschoben. Eine weise Entscheidung, es war ohnehin eine verfehlte Idee, die besser endgültig zu Grabe getragen wird.
Der Beschluss war als Antwort auf die Absage des Bundesverwaltungsgerichts an den Bau einer dritten Start-und-Lande-Bahn auf dem Flughafen Wien gedacht. Der steht zu 40 Prozent im Besitz der Bundesländer Wien und Niederösterreich, es gibt also auch öffentliches Interesse an der Erweiterung. Auch die Regierung ist offenbar der Ansicht, dass die Investition sinnvoll und notwendig ist. Es geht also um eine Sachfrage, bei der sich Politiker aber um die Entscheidung drücken. Stattdessen unternähmen sie mit der Verankerung eines allgemein gefassten Staatsziels den untauglichen Versuch, einer wirtschaftsfreundlichen Politik zum Durchbruch zu verhelfen.
Ganz abgesehen davon, dass Wachstum und Beschäftigung indirekt schon jetzt als Ziele in der Verfassung verankert sind. Laut § 13 B-VG müssen Bund, Länder und Gemeinden ihre Haushalte so führen, dass das „gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht“gesichert wird – also nach Preisstabilität, ausgewogenem Außenhandel, aber auch nach Vollbeschäftigung und angemessenem Wirtschaftswachstum streben.
Künftig müssten Richter zwei gleichrangige, aber konkurrierende Staatsziele gegeneinander abwägen. Rechtssicherheit schafft man damit nicht. Zudem geht die Politik damit am Kern der Sache vorbei. Sie sollte nämlich selbst die Abwägung treffen, ob der Umweltschutz oder das Wohl des Wirtschaftsstandorts höher zu werten ist. Nicht pauschal, sondern ganz konkret im Einzelfall. Da schließen einander übri- gens der Schutz der Umwelt und die Interessen der Wirtschaft keineswegs immer aus.
Die Entscheidung über die Sinnhaftigkeit einer Investition an Gerichte zu delegieren ist der Offenbarungseid der Politik, nicht selbst Verantwortung übernehmen zu wollen. Das sollte sie aber, da sich Österreich mit großen Bauvorhaben ohnehin schwertut. Auch deshalb, weil jene Gruppen, die dagegen mobilisieren, sich nicht am hundertsten Kreisverkehr oder dem x-ten Einkaufszentrum am Ortsrand stoßen oder daran, dass die Zufahrt zum eigenen Haus im letzten Winkel betoniert wird.
Nichts gegen Politiker, die sich große Ziele setzen. Aber sie sollten den Mut haben, auch bei Gegenwind dazu zu stehen. Wie die Sache mit der dritten Piste ausgeht, ist offen, die Beschwerde liegt beim Verfassungsgerichtshof und das neue Staatsziel auf Eis. Ungeachtet der Kehrtwendung im letzten Moment sagen die bisherigen Vorgänge viel über die Verfassung des politischen Systems aus, in der Verfassung hat all das aber nichts zu suchen.