Manchmal schwappt sogar die Welle durch das Stadion
Viel Polizei, viel Bürokratie und eine schlechte Presse. Aber die Fans, die sich trotzdem zum Fußball-Confederations-Cup nach Russland gewagt haben, fühlen sich dort durchaus wohl.
Patricks Frau Ewa, Cottbus-Fan, im vierten Monat schwanger, ist im Hotel geblieben. Er und Michael schlendern durch die schmucke Fußgängerzone von Kasan. Zwei weiße Farbkleckse im Straßenbild, das ansonsten ziemlich rot-blau ist: Etwa 4000 Fans aus Chile sind zum Confed Cup gekommen, in der Kasaner Fußgängerzone dröhnen spanische Männerchöre. „Ich höre Chile nicht“, ruft Michael, Inhaber eines Übersetzerbüros, auf Spanisch dazwischen. Die Chilenen lachen, umringen die Deutschen, alle fangen an zu fotografieren, lachen. Völkerfreundschaft in Kasan. Und eine russische Passantin wendet sich schüchtern an die zwei Deutschen, ob sie auch mit ihnen ein Selfie machen könne.
Der Confederations Cup in Russland ist im vollen Gang. Eine umstrittene Veranstaltung. Putin-Kritiker reden von einer Generalprobe für die Fußballweltmeisterschaft 2018, die der Staat als PropagandaShow benutzen wolle. Viele europäische Fans aber sind zu Hause geblieben, weil ihnen Russland nicht ganz geheuer ist.
„Natürlich habe ich den BBCFilm über die russischen Fans gesehen, die aggressiv Kampfsport trainieren“, sagt Patrick, HSV-Anhänger, wohnhaft in London. „Glaubt man der Berichterstattung, dann wird Russland immer autoritärer.“Und sein Freund Michael, WerderFan aus Hamburg, fügt hinzu, zu Hause hätten alle gesagt, er sei verrückt. „Die behalten dich doch da, in Russland!“
Viel Polizei, Scharen eifrig englisch parlierender Volontäre, kostenlose Nachtzüge von Moskau nach Petersburg und Kasan, Shuttlebusse vom Flughafen, Shuttlebusse zum Stadion, der russische Confed Cup ist meist sehr gut orga- nisiert. Vielleicht sogar etwas überorganisiert. Jeder, der eine Eintrittskarte gebucht hat, muss auch eine „Fan-Identity“beantragen. Die russischen Grenzbehörden akzeptieren sie sogar als Visa-Ersatz. Aber die Ticket-Website der FIFA und die russische Fan-Identity-Seite lassen viele Fragen offen. „Dort hieß es, ich müsse mein Ticket spätestens zwei Tage vor dem Spiel abholen“, sagt Michael. „Aber wo, war nicht klar.“Michael besorgte sich ein Visum, in der Hoffnung, vor Ort eine Eintrittskarte zu erstehen. Auch die Freunde Patrick und Ewa beantragten ein russisches Visum. „British Airways hätte uns in London allein mit der Fan-Identity nicht ins Flugzeug gelassen.“
Vor Ort ist dann alles viel einfacher. Michael kaufte sich in Kasan problemlos ein Ticket, die Beschaffung seines Fanausweises dauerte gut eine Viertelstunde.
Andere deutsche Fans sind problemlos eingereist, nur mit Reisepass und ausgedruckter Antragsbestätigung für ihren Fanausweis. Miroslaw, Kaiserslautern-Fan und Weltreisender, erzählt, er habe Tickets und Fan-Identity in Brasilien, beim Karneval, bestellt. „War völlig easy.“Und er finde es total cool, dass er jetzt wochenlang visafrei in Russland herumreisen könne. „Natürlich blöd, dass die Geschäfte am Spieltag keinen Alkohol verkaufen“, sagt er und lächelt. Aber für alle Fälle hat er etwas Wodka in seinen Energydrink geschüttet. Miroslaw strahlt. Neben uns trommeln und singen wieder Chilenen, die Russen staunen und lächeln.
Es ist kein perfektes Fußballfest. Bei einigen Spielen sei es so still wie im Theater, schreibt das Internetportal fontanka.ru. Aber überall, wo die chilenischen Stimmungskanonen auftauchen, springt der Funken auch auf die Russen über. Wenn nächstes Jahr auch Brasilianer, Italiener oder Iren in großer Zahl kommen, erlebt vielleicht auch Russland ein Sommermärchen, wie die WM 2006 in Deutschland oft bezeichnet wird.
In die Kasan-Arena passen offiziell 45.000 Zuschauer, heute sind 38.000 gekommen. Chile schießt das 1:0, im Stadion wird gejubelt, als wären alle Südamerikaner. Die Chilenen starten eine La-Ola-Welle, die Russen, auch die vereinzelten Deutschen machen mit. Beim deutschen Ausgleich jubelt wieder die halbe Arena. Die Stimmung ist bestens.
Halbzeit. „Ich bin oft hier, wenn Rubin Kasan spielt“, erzählt ein schnauzbärtiger Tatare in der Schlange vor dem BudweiserStand. „Aber so großartigen Fußball sehe ich zum ersten Mal“, sagt der Mann. Es klingt fast ehrfürchtig. Michael und Patrick müssen mit immer neuen Einheimischen Selfies knipsen. „Kasan“, sagt Patrick, „macht wirklich Spaß.“