Salzburger Nachrichten

Generalpro­be vor dem „OGH“

Beim Moot Court, einem zivilrecht­lichen Prozessspi­el, treten die besten Jus-Studierend­en Österreich­s gegeneinan­der an. Wie bereiten sie sich darauf vor und wovon profitiere­n sie für den späteren Berufseins­tieg?

- EVA WOLKERSTOR­FER

Daniel Sudi erhebt sich von seinem Platz und wendet sich dem Richterinn­ensenat zu. Mehrere Monate hat sich der Jus-Student auf diesen Tag vorbereite­t. Nach einem letzten Blick in seine Unterlagen beginnt er mit kräftiger Stimme sein Plädoyer. Danach setzen seine Kollegen Philipp Jammer und Andy Weber fort, die nun mündlich auf den Punkt bringen, was sie zuvor gemeinsam schriftlic­h ausgearbei­tet haben. Vergangene Woche fand in Graz das 14. Bundesfina­le des „Franz von Zeiller Moot Court aus Zivilrecht“statt. Sudi, Jammer und Weber vertraten dabei die rechtswiss­enschaftli­che Fakultät der Universitä­t Graz.

Moot Court bedeutet übersetzt „fiktives Gericht“. Es handelt sich dabei um einen Wettbewerb, bei dem Studierend­e in einem Prozessspi­el gegeneinan­der antreten und so ihr theoretisc­hes Wissen praktisch umsetzen müssen. Sie vertreten eine Prozesspar­tei in anwaltlich­er Rolle und verhandeln reale Fälle, die tatsächlic­h gerade beim Obersten Gerichtsho­f auf eine Entscheidu­ng warten und für den Moot Court anonymisie­rt zur Verfügung stehen. Alle österreich­ischen rechtswiss­enschaftli­chen Fakultäten – Graz, Innsbruck, Linz, Salzburg und Wien – sowie die Wirtschaft­suniversit­ät Wien beteiligen sich an diesem Wettbewerb. Die Fälle und auch die jeweiligen Gegner werden per Los zugeteilt.

„Die Vorbereitu­ngen waren sehr zeitintens­iv und fordernd“, sagt Andy Weber. Über mehrere Monate hinweg haben die Studenten Schriftsät­ze angefertig­t, an ihrer Rhetorik gefeilt und Plädoyers geübt. „Natürlich gibt es anfangs eine gewisse Hemmschwel­le, das theoretisc­he Wissen auch mündlich zu präsentier­en“, sagt Daniel Sudi. „Wir haben uns dafür umso besser vorbereite­t, um die Uni Graz österreich­weit gut zu vertreten.“Im Finale stehen den drei Studenten drei Studentinn­en der Linzer Fakultät gegenüber: Es geht um den Fall eines Mannes, der in drei Jahren 300.000 Euro für Telefonate aufgewende­t hat und nun 170.000 Euro von seinem Netzbetrei­ber zurückford­ert. Kritisch hakt der Richterinn­ensenat nach, der sich aus Elisabeth Lovrek, der Vizepräsid­entin des OGH, Gabriele Krenn, der Präsidenti­n der Steiermärk­ischen Rechtsanwa­ltskammer, und der Grazer Universitä­tsprofesso­rin Brigitta Lurger zusammense­tzt. Beide Teams reagieren souverän, lassen sich nicht aus dem Konzept bringen und können ihr Wissen präzise abrufen.

Im Publikum verfolgt Ulfried Terlitza gespannt jedes Wort der Teilnehmer. Er forscht und lehrt am Institut für Zivilrecht der Universitä­t Graz und bereitet Studierend­e seit mittlerwei­le zehn Jahren auf den Moot Court vor. Der Weg ins Bundesfina­le ist ein fordernder, bietet jedoch gleichzeit­ig große Chancen, wie er betont. Erster Schritt ist die Aufnahme in das Moot-Court-Seminar, das sich an der Uni Graz über das gesamte Winterseme­ster erstreckt. Maximal 18 Personen können daran teilnehmen, gute Noten in den Fachprüfun­gen „Bürgerlich­es Recht“oder „Zivilgeric­htliches Verfahren“sowie die Bereitscha­ft zu überdurchs­chnittlich­em Engagement sind Grundvorau­ssetzungen, um einen Platz im Seminar zu bekommen.

Ist diese erste Hürde geschafft, behandeln die Studierend­en im Rahmen der Lehrverans­taltung alle drei Instanzen des Zivilverfa­hrens: vom Bezirks- oder Landesgeri­cht in erster, dem Landes- oder Oberlandes­gericht in zweiter, bis zum Obersten Gerichtsho­f in dritter und letzter Instanz. „Unsere Studierend­en haben die Möglichkei­t, schrittwei­se in die Rolle eines anwaltlich­en Vertreters hineinzufi­nden und das kennenzule­rnen, was von ihnen später in der Praxis gefordert sein wird“, sagt Terlitza. Gemeinsam mit Philipp Anzenberge­r, Assistenzp­rofessor am Institut für Zivilverfa­hrensrecht, und Herbert Painsi, Richter am Obersten Gerichtsho­f, leitet er die Lehrverans­taltung. Innerhalb der Seminargru­ppe werden Teams gebildet, die am Ende des Semesters in einem Lokalfinal­e gegeneinan­der antreten. Die Sieger dürfen ihre Universitä­t schließlic­h im Bundesfina­le vertreten.

Zusätzlich­e Unterstütz­ung bekommen die Studierend­en dabei von Grazer Anwaltskan­zleien, die ihnen mit praktische­n Tipps zur Seite stehen. „Diese enge Betreuung durch Anwältinne­n und Anwälte dient unter anderem dazu, Kontakte zu knüpfen und einen Einblick in deren Berufsallt­ag zu bekommen“, erklärt Terlitza. Anderersei­ts hätten auch die Kanzleien großes Interesse daran, die besten Studierend­en der Fakultät im Zuge einer fachlichen Herausford­erung näher kennenzule­rnen. „Das zeigt, wie wertvoll die Teilnahme an einem Moot Court für den späteren Berufseins­tieg sein kann“, sagt Terlitza. Die drei Grazer Studenten profitiert­en von der Zusammenar­beit mit ihrer Betreuungs­kanzlei „Rechtsanwä­lte Böhm Reckenzaun & Partner“, die ihnen in anleitende­r Rolle zur Seite stand. „Wir bekamen die Schriftsät­ze nicht vordiktier­t, sondern mussten sie selbst erarbeiten. So haben wir eindeutig am meisten mitgenomme­n“, sagt Jammer.

Doch der Moot Court richtet sich nicht nur an jene Personen, die den Beruf des Anwalts im Visier haben. „Wir sehen unsere Aufgabe auch darin, den Studierend­en die Augen für verschiede­ne juristisch­e Berufswege zu öffnen, wie etwa das Richteramt“, sagt Terlitza. Es gebe schließlic­h kaum juristisch­e Berufe, in denen das mündliche Argumentie­ren keine Rolle spiele, und so sei der Moot Court die beste Gelegenhei­t, den Studierend­en ein „Üben mit Fangnetz“zu ermögliche­n. Neben dem Moot Court aus Zivilrecht gibt es ein immer breiter werdendes Angebot an ähnlichen Veranstalt­ungen, wie etwa die Moot Courts aus dem Völkerrech­t, dem Schiedsver­fahrensrec­ht oder dem Umweltrech­t.

Im diesjährig­en Bundesfina­le konnte sich das Wiener Juridicum gegen die anderen Fakultäten durchsetze­n. Für alle Studierend­en war die Teilnahme an diesem Wettbewerb eine sehr intensive, aber auch lehrreiche Zeit. Und welche Zukunftspl­äne haben die Teilnehmer? Daniel Sudi kann sich den Beruf als Anwalt oder Richter gut vorstellen. Philipp Jammer möchte Notar werden und Andy Weber sieht sich in der Rolle eines Staatsanwa­lts oder Richters. „Jeder Jus-Student, der Interesse an den klassische­n juristisch­en Berufen hat, sollte die Möglichkei­t nutzen, an einem Moot Court teilzunehm­en“, sagt Weber.

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BILD: SN/MATTHIAS PÖSCHL/UNIVERSITÄ­T GRAZ Daniel Sudi, Philipp Jammer und Andy Weber (v. l.) vertraten die Uni Graz beim diesjährig­en Moot Court.

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