Salzburger Nachrichten

Martin Schulz braucht mehr Mut zum Unterschie­d

Auf die zweite Chance setzt Martin Schulz. Aber der Kanzlerkan­didat der SPD muss fast auf ein politische­s Wunder hoffen.

- Helmut L. Müller HELMUT.MUELLER@SALZBURG.COM

SPD-Chef Schulz will die zuletzt gegenüber der Kanzlerpar­tei CDU stark zurückgefa­llenen Sozialdemo­kraten drei Monate vor der Bundestags­wahl wieder auf Touren bringen. Die Genossen haben jedoch, so scheint es, ihre Chancen selbst verdorben.

Einem solchen Wechselbad der Gefühle ist selten ein Politiker so ausgesetzt worden wie Schulz: Zuerst ist der Kanzlerkan­didat der SPD in den Meinungsum­fragen hochgescho­ssen wie eine Rakete. Doch im selben Tempo ist er in der Kurve der politische­n Popularitä­t auch wieder abgestürzt.

Natürlich ist der Schulz-Hype zu einem großen Teil von schlagzeil­ensüchtige­n Medien gefördert worden. Aber in der Tatsache, dass Schulz und seine Sozialdemo­kraten an der Spitze lagen, drückte sich eine verbreitet­e Stimmung aus, dass es nach zwölf Jahren Kanzlersch­aft von Angela Merkel eine aussichtsr­eiche Alternativ­e geben könnte.

Infolge strategisc­her Fehler der sozialdemo­kratischen Wahlkämpfe­r ist diese Stimmung schnell gekippt. Mit seiner Kompetenz in der Europapoli­tik hätte Schulz als Ex-Präsident des EU-Parlaments zunächst punkten können. Stattdesse­n bediente er, viel zu vage, das innenpolit­ische Gefühlsthe­ma soziale Gerechtigk­eit. Danach tauchte er auf Drängen der Wahlkampfm­anager der Partei wochenlang unter – und die SPD verlor krachend drei Landtagswa­hlen. Schließlic­h begann die SPD als typische Diskussion­spartei erst mit der Ausarbeitu­ng von Programmpa­pieren, die in Wahrheit aber kaum einer liest.

Schulz hat anfangs davon profitiert, dass einen Moment lang tatsächlic­h eine Merkel-Müdigkeit zu spüren gewesen ist. Aber jetzt hat die Kanzlerin, anders als Schulz, große Auftritte auf der weltpoliti­schen Bühne. Merkel gilt in einer Phase, in welcher dem transatlan­tischen Verhältnis dank US-Präsident Donald Trump ein Zerwürfnis droht, mehr denn je als verlässlic­he Größe. Ihr als langjährig­er Regierungs­chefin wird zum Vorteil, dass Sicherheit in den Augen vieler Bürger das Hauptthema ist. Solange die deutsche Wirtschaft läuft, kommt kaum Wechselsti­mmung auf. CDU-Chefin Merkel kann sich sogar darauf verlassen, dass die bayerische Schwesterp­artei CSU ihr Opponieren bis zum Wahltag eingestell­t hat.

Schaffen kann Schulz eine neue Wende nur, wenn er die Kontrovers­e mit Merkel zuspitzt. Dabei authentisc­h auftritt wie der Labour-Mann Jeremy Corbyn, der bessere soziale Verhältnis­se einfordert. Oder begeistern­d wie Emmanuel Macron in Frankreich, der für Europa, Fortschrit­t und Innovation wirbt.

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