Martin Schulz braucht mehr Mut zum Unterschied
Auf die zweite Chance setzt Martin Schulz. Aber der Kanzlerkandidat der SPD muss fast auf ein politisches Wunder hoffen.
SPD-Chef Schulz will die zuletzt gegenüber der Kanzlerpartei CDU stark zurückgefallenen Sozialdemokraten drei Monate vor der Bundestagswahl wieder auf Touren bringen. Die Genossen haben jedoch, so scheint es, ihre Chancen selbst verdorben.
Einem solchen Wechselbad der Gefühle ist selten ein Politiker so ausgesetzt worden wie Schulz: Zuerst ist der Kanzlerkandidat der SPD in den Meinungsumfragen hochgeschossen wie eine Rakete. Doch im selben Tempo ist er in der Kurve der politischen Popularität auch wieder abgestürzt.
Natürlich ist der Schulz-Hype zu einem großen Teil von schlagzeilensüchtigen Medien gefördert worden. Aber in der Tatsache, dass Schulz und seine Sozialdemokraten an der Spitze lagen, drückte sich eine verbreitete Stimmung aus, dass es nach zwölf Jahren Kanzlerschaft von Angela Merkel eine aussichtsreiche Alternative geben könnte.
Infolge strategischer Fehler der sozialdemokratischen Wahlkämpfer ist diese Stimmung schnell gekippt. Mit seiner Kompetenz in der Europapolitik hätte Schulz als Ex-Präsident des EU-Parlaments zunächst punkten können. Stattdessen bediente er, viel zu vage, das innenpolitische Gefühlsthema soziale Gerechtigkeit. Danach tauchte er auf Drängen der Wahlkampfmanager der Partei wochenlang unter – und die SPD verlor krachend drei Landtagswahlen. Schließlich begann die SPD als typische Diskussionspartei erst mit der Ausarbeitung von Programmpapieren, die in Wahrheit aber kaum einer liest.
Schulz hat anfangs davon profitiert, dass einen Moment lang tatsächlich eine Merkel-Müdigkeit zu spüren gewesen ist. Aber jetzt hat die Kanzlerin, anders als Schulz, große Auftritte auf der weltpolitischen Bühne. Merkel gilt in einer Phase, in welcher dem transatlantischen Verhältnis dank US-Präsident Donald Trump ein Zerwürfnis droht, mehr denn je als verlässliche Größe. Ihr als langjähriger Regierungschefin wird zum Vorteil, dass Sicherheit in den Augen vieler Bürger das Hauptthema ist. Solange die deutsche Wirtschaft läuft, kommt kaum Wechselstimmung auf. CDU-Chefin Merkel kann sich sogar darauf verlassen, dass die bayerische Schwesterpartei CSU ihr Opponieren bis zum Wahltag eingestellt hat.
Schaffen kann Schulz eine neue Wende nur, wenn er die Kontroverse mit Merkel zuspitzt. Dabei authentisch auftritt wie der Labour-Mann Jeremy Corbyn, der bessere soziale Verhältnisse einfordert. Oder begeisternd wie Emmanuel Macron in Frankreich, der für Europa, Fortschritt und Innovation wirbt.