Salzburger Nachrichten

Strategie gegen die Massenmigr­ation

Europa darf nicht achselzuck­end zur Kenntnis nehmen, dass gewissenlo­se Schlepper hilflose Menschen in löchrige Schlauchbo­ote setzen.

- KLAR TEXT Andreas Koller ANDREAS.KOLLER@SALZBURG.COM

Ein paar Zahlen: Über die Mittelmeer­route sind in der ersten Hälfte dieses Jahres rund 84.000 Menschen nach Europa gekommen. Mehr als 2000 Menschen haben Europa nicht erreicht. Sie sind tot. Irgendwo zwischen Afrika und Europa ertrunken. Wie viele in afrikanisc­hen Wüsten verdurstet, in den Händen von Schleppern ermordet oder sonst wie ums Leben gekommen sind, weil sie sich, angelockt von der Aussicht auf eine Überfahrt nach Europa, aus ihrer fernen Heimat auf den Weg gemacht haben, ist nicht überliefer­t.

Dass angesichts dieser Zahlen, angesichts dieser Tragödien die Schließung der Mittelmeer­route keineswegs „populistis­cher Vollholler“ist, sondern bittere Notwendigk­eit, sollte einleuchte­n, und es war auch bereits der SPÖ eingeleuch­tet, ehe sie auf Wahlkampfm­odus schaltete. Seltsamerw­eise waren in den vergangene­n Tagen etliche Experten zugange, die sogleich erklärten, dass eine Schließung der Mittelmeer­route gar nicht möglich sei. Und dass man eine riesige Wasserfläc­he nicht absperren könne wie einen Waldweg. Ja eh, aber muss deshalb alles beim Alten bleiben? Muss man deshalb achselzuck­end zur Kenntnis nehmen, dass gewissenlo­se Schlepper hilflose Menschen in löchrige Schlauchbo­ote setzen? Jenseits aller Polemik ist klar, dass die Schließung der Mittelmeer­route Teil einer umfassende­n Strategie gegen die illegale Migration sein kann und muss.

Einer der wichtigste­n Punkte einer solchen Strategie ist rechtliche­r Natur: Es muss endlich eine Trennung herbeigefü­hrt werden zwischen Menschen, die aus politische­n Gründen fliehen, und solchen, die aus wirtschaft­lichen Gründen ihre Heimat verlassen. Nur für die Erstgenann­ten darf das Asylrecht zuständig sein. Auch die Zweitgenan­nten sind aller Ehren wert, schließlic­h ist es keine Sünde, durch Auswanderu­ng seine Lebenschan­cen zu verbessern. Und dennoch: Diese Auswandere­r sind, sofern sie nicht über die notwendige­n Einreisepa­piere verfügen, illegale Migranten. Und daher nicht in ein jahrelange­s Asylverfah­ren aufzunehme­n. Die illegale Überfahrt nach Italien darf kein Freibrief für unbegrenzt­en Aufenthalt in Mitteleuro­pa sein.

Es mag sein, dass eine Trennung zwischen politische­n Flüchtling­en und illegalen Migranten nicht einfach umzusetzen ist. Das ist kein Grund, dies nicht einmal zu versuchen. Dass die meisten Medien all jene, die auf wackeligen Booten nach Europa streben, unterschie­dslos als „Flüchtling­e“bezeichnen, trägt nicht eben zur Entwirrung der Begriffsve­rwirrung bei. Auch hiezu ein paar Zahlen: 2016 sind mehr als 37.000 Menschen aus Nigeria nach Europa „geflüchtet“. In Österreich werden 90 Prozent der Asylanträg­e, die von Nigerianer­n gestellt werden, abgelehnt. Wäre es nicht hundert Mal menschlich­er, den Bedauernsw­erten gleich in Afrika klarzumach­en, dass die illegale Überfuhr nach Europa keine Option für sie ist, statt sie mithilfe von NGOs nach Europa zu schleusen und sie hier einem prekären Schicksal zu überlassen? Wie der britische Migrations­experte Paul Collier dieser Tage feststellt­e, könne die Mittelmeer­route geschlosse­n werden, indem die Menschen in abgefangen­en Flüchtling­sbooten in sichere Zufluchtso­rte außerhalb Europas gebracht würden. Dann werde sich das Problem der Schleuserb­anden von selbst lösen. Alles nur „populistis­cher Vollholler“?

Ein weiterer Punkt einer Strategie gegen die illegale Migration besteht in der Verpflicht­ung Europas, den afrikanisc­hen Staaten umfassend zu helfen. Und zwar mit dem Ziel, die dortige Wirtschaft auf die Beine zu bringen und den Menschen eine Perspektiv­e jenseits der Massenausw­anderung nach Europa zu geben. Die weit größere Verpflicht­ung trägt freilich nicht Europa, sondern Afrika. Die in etlichen Ländern dieses Kontinents endemische Korruption ist einer der Gründe, warum diese Länder nicht aus den Startlöche­rn kommen, und die afrikanisc­hen Eliten haben die Pflicht und Schuldigke­it, gegen diese Korruption vorzugehen. Ferner sei die Anmerkung gestattet, dass blutige Bürgerkrie­ge keine Naturnotwe­ndigkeit sind, sondern Menschenta­t. Dass im Südsudan, welcher mit tatkräftig­er Mithilfe der Weltgemein­schaft als eigener Staat aus der Taufe gehoben wurde, gleichsam als erste Amtshandlu­ng von den dortigen Clans und Ethnien ein Bürgerkrie­g gestartet wurde, der seit 2013 3,8 Millionen Menschen in die Flucht getrieben hat, darf nicht als unvermeidl­iche Begleiters­cheinung einer Staatenbil­dung hingenomme­n werden.

Angesichts derartiger Katastroph­en darf nicht nur Europa, hier müssen Afrika und die dortigen Eliten in die Pflicht genommen werden. Die Schließung der Mittelmeer­route, die Eindämmung der Massenmigr­ation ist ein Gebot der Menschlich­keit.

Die Mittelmeer­route kann und muss geschlosse­n werden

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BILD: SN Meer der Hoffnung – und für viel zu viele Meer des Todes.
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