Macht die Beine nicht breit!
Was hinter dem breitbeinigen Gehabe in Bus, Bahn oder Büro steckt: Demonstration von Macht oder nur Muskelschwäche?
Just an dem Tag, an dem ich mich über Damen im Obus wunderte, die mit ihren Einkaufstaschen trotz überfüllten Busses jeweils mehrere Sitze für sich und ihr Gemüse beanspruchten, las ich Folgendes: „Madrid verbannt das breitbeinige Sitzen aus den öffentlichen Verkehrsmitteln.“
Man kennt das ja schon aus New York. Dort hat die Verkehrsgesellschaft MTA bereits vor geraumer Zeit in ihren Zügen Schilder angebracht, auf denen die „Manspreader“, so werden breitbeinig sitzende Männer bezeichnet, aufgefordert werden, sich zu benehmen: „Dude, stop the spread, please – it’s a space issue“, steht darauf. Die New Yorker hatten mit dem Zusatzhinweis, es gehe um Platz und Raum, den Punkt getroffen. Denn breitbeiniges Stehen und Sitzen von Menschen erzeugt nicht nur unangenehme Gefühle bei Sitz- und Stehnachbarn, sondern nimmt ihnen auch Raum weg und zwingt sie, sich selbst kleiner oder schmäler zu machen oder zu fühlen.
Das Thema ist mehr als eine Freizeitbeschäftigung für Teilzeitfeministinnen. Denn das rücksichtslose Verhalten durch raumgreifendes Inanspruchnehmen öffentlichen Raums trifft uns alle, Frauen wie Männer. Auch wenn es weitaus mehr Männer sind, die ihre Beine in Bus und Bahn nicht zusammenkriegen.
Die Erklärung muss nicht immer ungehobeltes Verhalten sein. Vielmehr kultivieren Mädchen und Buben bereits im Kindesalter ein unterschiedliches Körperempfinden im Raum. Buben werden angeregt, sich auszutoben, Mädchenspiele finden hingegen noch immer oft in einem begrenzteren Raum statt. Werden aus den Buben Männer, nehmen sie unterbewusst an, dass ihnen dieser Raum zusteht. Die Erklärung klingt jedenfalls logisch, ist aber keine Entschuldigung. Denn jeder von uns hat ja seit der Kindheit wohl etwas mehr als unterbewusstes Verhalten mitbekommen. Dazu gehört zum Beispiel, Rücksicht zu nehmen, sich zur Situation passend angemessen zu verhalten. Es ist nicht zu viel verlangt, sich ab und zu seine eigene Haltung vor Augen zu führen und sich zu fragen: Welche Wirkung erziele ich damit?
Beine breit – das ist auch eine beliebte Geste in den oberen Etagen der Wirtschaft. Ein Schelm, der jetzt an ein beliebtes Klischee denkt. Nein, es geht um Chefs, die während Verhandlungen, Sitzungen oder Debatten demonstrativ breitbeinig stehen oder sitzen. Das wirkt nicht eleganter als die sich lümmelnden Kerle in der U-Bahn. Hier geht es aber mehr um Demonstration von Macht. Dabei haben sie nicht unrecht, denn Experten der Körpersprache sagen, wer breitbeinig stehe, wirke standfest und realistisch. Manche interpretieren dies auch als angsteinflößend. Jeder hat in seinem beruflichen Umfeld ein paar Breitbeiner. Nein, furchteinflößend finde ich sie nicht, eher belustigend. Nach dem Motto: Meine Güte, wenn er so wackelig ist, muss er sich halt breiter aufstellen.
Nur im Obus oder in der U-Bahn mag ich es gar nicht, wenn mir jemand den ohnehin knappen Platz streitig macht. Und da ist es völlig egal, ob es ein Mann ist, der seinen „Gracilis“, den Muskel, der die Beine zusammenhält, zu wenig trainiert hat, oder eine Dame, die meint, Äpfel und Salat bräuchten dringender einen Sitzplatz als andere Fahrgäste.