Wie gut ist Martin Schulz aufgestellt?
Drei Monate vor der Wahl muss der rote Kanzlerkandidat einen gigantischen Rückstand aufholen. Ein Altkanzler spricht ihm Mut zu.
„Ich will hier rein!“Mit diesen Worten – so wird es immer wieder kolportiert – hat Gerhard Schröder als junger Abgeordneter am Gitter des Bonner Kanzleramts gerüttelt. 1998 und 2002 hat er es dann tatsächlich ins Amt geschafft. 2005 hat er sein Ziel nur knapp verfehlt. Ihm war das Kunststück gelungen, einen Rückstand von 20 Prozent in den Umfragen aufzuholen. Am Ende aber reichten die 34,2 Prozent nur für den zweiten Platz hinter der Union, die 35,2 Prozent erzielte. Angela Merkel wurde erstmals Kanzlerin.
Mit dieser Geschichte versuchte der Altkanzler seiner Partei auf dem Dortmunder Sonderparteitag gestern, Sonntag, Mut zu machen. „Noch ist nichts entschieden“, feuerte der 73-Jährige seine Genossen an. Was damals gegangen sei, „das geht heute auch“. Schließlich entscheide sich ein Drittel der Wähler erst kurz vor der Wahl. Die SPD habe bewiesen, dass sie es könne, und zwar besser als die anderen, verwies Schröder auf seine eigene Amtszeit. Aber man dürfe keine Selbstzweifel haben. „Nur wer das Amt unbedingt will, wird es auch bekommen“, gab er Kanzlerkandidat Martin Schulz mit auf den Weg.
Die SPD mit ihrem Spitzenkandidaten Schulz liegt in den Umfragen aktuell 15 Prozentpunkte hinter CDU und CSU. Im Vergleich zur Vorwoche rutschte die SPD damit einen weiteren Prozentpunkt ab. Für die Aufholjagd bleiben Schulz jetzt noch 13 Wochen. In dieser Zeit will er vor allem die Demobilisierungsstrategie von Kanzlerin Angela Merkel als „Anschlag auf die Demokratie“ hinstellen. Merkels Taktik bestehe darin, sich vor Inhalten zu drücken und in Kauf zu nehmen, dass Leute nicht zur Wahl gehen würden. Das sei ein Zeichen für die „Arroganz der Macht“, sagte Schulz in seiner 80-minütigen Rede beim SPD-Parteitag in Dortmund.
Schulz will nicht hinnehmen, dass die Union im Wahlkampf nicht über das Thema Renten diskutieren will. Das sei schließlich eine der zentralen Gerechtigkeitsfragen. Die von der Union geforderte Rente erst mit 70 Jahren lehnte Schulz kategorisch ab.
Bedingung für die Beteiligung an einer Koalition sei zudem die „Ehe für alle“. Er unterschreibe keinen Koalitionsvertrag ohne die völlige Gleichstellung Homosexueller, kündigte Schulz am Sonntag an. Bislang gibt es für gleichgeschlechtliche Paare nur die eingetragene Lebenspartnerschaft, die allerdings der Ehe bis auf Kleinigkeiten bei der
Gerhard Schröder, SPD-Altkanzler
Adoption gleichgestellt ist. Eine Gleichstellung lehnt die Union ab. FDP, Grüne und Linkspartei sind wie die SPD für eine Gleichstellung.
Wie schon kurz nach seiner Wahl zum SPD-Chef attackierte Schulz erneut die Alternative für Deutschland (AfD), die er als „NPD light“bezeichnete. Er verwies dabei am Sonntag auf einen Chat der Partei, in dem von „Deutschland den Deutschen“, „Machtübernahme“, „Ausweitung der Außengrenzen“und „volksfeindlichen Medien“die Rede ist. „Diese Partei gehört nicht zu Deutschland“, sagte der Kanzlerkandidat. Die SPD wolle dafür sorgen, dass die AfD nicht in den Bundestag komme.
Schulz nutzte seine Rede außerdem für Attacken gegen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan sowie gegen US-Präsident Donald Trump. Erdoğan solle alle gefangenen Journalisten freilassen. Trump nannte er einen „irrlichternden Präsidenten“, auf den man sich nicht verlassen könne.
Im einstimmig verabschiedeten Wahlprogramm spricht sich die SPD für Steuersenkungen für untere und mittlere Einkommen im Volumen von 15 Mrd. Euro aus. Unter anderem soll der Solidaritätszuschlag für Einkommen bis 52.000 Euro ab dem Jahr 2020 wegfallen. Gutverdiener sollen durch eine Anhebung des Spitzensteuersatzes und der Reichensteuer stärker belastet werden.
Den Bezug des Arbeitslosengeldes will die SPD zeitlich ausdehnen, konkret um die Dauer von Qualifizierungsmaßnahmen, weshalb der Vorschlag „Arbeitslosengeld Q“genannt wird. Außerdem soll Bildung von der Kita bis zum Studium oder der Meisterprüfung kostenlos sein und es soll ein Anrecht auf Weiterbildung geben.
Für Eltern soll es eine Familienarbeitszeit und ein Familiengeld geben. Um die von der Parteilinken und den Jusos geforderte Vermögenssteuer soll sich eine eigene Kommission kümmern.
Heftige Kritik am Steuer- und Rentenkonzept der SPD übte am Sonntag Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU). Zuvor hatte Schulz ihn zusammen mit Merkel für die Spaltung Europas verantwortlich gemacht. Insbesondere das SPDRentenkonzept hält Schäuble für eine Volksverdummung: „Wenn die Lebenserwartung weiter steigt, wird die Lebensarbeitszeit auf Dauer nicht unverändert bleiben können. Alles andere ist der durchsichtige Versuch, den Wähler zu verdummen.“Der Finanzminister hatte sich mehrfach für eine Erhöhung des Renteneintrittsalters ausgesprochen.
„Wir haben bewiesen, dass wir es können, und zwar besser als die anderen.“