Hongkong will freie Wahlen, China mehr Kontrolle
Zwei Jahrzehnte nach der Rückgabe der britischen Kronkolonie an China ist Hongkongs Zukunft ungewiss.
Anson Chan zieht eine schmerzliche Bilanz. Niemand hat der Welt vor 20 Jahren die Formel „ein Land, zwei Systeme“überzeugender verkauft als die damalige Verwaltungschefin des letzten britischen Gouverneurs von Hongkong, Chris Patten. Die zierliche Chinesin stand als „Nummer zwei“für Kontinuität. „Ich habe der ausländischen Gemeinschaft damals gesagt: Macht euch keine Sorgen. Hongkong wird so bleiben, wie es ist“, sagt die heute 77-Jährige.
Zwei Jahrzehnte später ist aus Chinas Gehilfin im Übergang eine scharfe Kritikerin geworden. Trotz aller Verdienste für Peking hat die „Eiserne Lady Hongkongs“heute sogar Angst um sich persönlich. Über die Grenze nach China reist sie nicht mehr. Sie fürchtet, dass irgendwelche chinesischen Agenten Anstoß an ihrer Kritik nehmen und sie verschwinden lassen könnten. Einen ausländischen Pass, der sie schützen könnte, besitzt sie nicht.
Das mysteriöse Verschwinden von fünf Herausgebern chinakritischer Bücher aus Hongkong oder des Milliardärs Xiao Jianhua, der Geschäfte mit Chinas Machtelite gemacht hatte, weckt nach Chans Ansicht eindeutig Fragen nach der persönlichen Sicherheit. Kein Zweifel: Der Schock unter den sieben Millionen Hongkongern über den immer länger werdenden Arm chinesischer Staatsorgane sitzt tief.
Eigentlich genießt die chinesische Sonderverwaltungsregion ein hohes Maß an Autonomie. Nach seinem Grundgesetz wird Hongkong als gesondertes Territorium mit Staats- und Zollgrenzen, eigener Polizei und unabhängiger Justiz eigenständig regiert. Chinas Agenten haben in Hongkong nichts zu suchen. Aber während die Hongkonger „zwei Systeme“betonen, stellt Peking heute „ein Land“zunehmend an erste Stelle.
„Das China von heute unterscheidet sich stark von dem China, das das Prinzip ,ein Land, zwei Systeme‘ ausgehandelt hat“, sagt Chan. Damals war die Wirtschafts- und Finanzmetropole Hongkong das Tor zu China. Die kommunistischen Führer benötigten Hongkongs Geld, Führungsqualitäten, berufliches Know-how und die Verbindungen in die Welt, um marktwirtschaftliche Reformen voranzubringen. Heute sei China eine „zunehmend aggressive“Wirtschaftsmacht, sagt Chan. Die Briten als alte Kolonialherren und andere Europäer müssten daher stärker für die Einhaltung der Grundrechte eintreten.
Während Chan nicht mit Kritik spart, blickt der langjährige Parlamentspräsident Jasper Tsang wohlwollender auf die Geschichte. Die pragmatische Formel „ein Land, zwei Systeme“habe schon „ziemlich gut funktioniert“. Tsang gehört zum pekingfreundlichen Lager, ist sehr populär, vertuscht aber Probleme nicht. Es gebe soziale Schwierigkeiten und schlechte Kooperation zwischen dem Regierungschef und dem nicht frei gewählten Parlament in Hongkong. Die Weigerung, wie versprochen das allgemeine Wahlrecht zu erlauben, habe zu wachsendem Widerstand gegen Peking geführt, sagt Tsang. Nun stehe Hongkong am Scheideweg. „Die nächsten zehn Jahre sind entscheidend.“Auch, weil der Status quo Hongkongs nur über 50 Jahre bis 2047 garantiert ist.