Salzburger Nachrichten

Körperarbe­it tanzt in die bildende Kunst

Performanc­e und Körperarbe­it sind ein Trend in den Weltkunst-Ausstellun­gen dieses Jahres. Gehört die Zukunft der „In-Betweennes­s“?

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Der Mann in seiner Kapuzenjac­ke schwitzt. Kein Wunder, bewegt er sich doch schon seit geraumer Zeit durch die Räume des Archäologi­schen Museums in Piräus. Passt seinen Körper den Stufen im Stiegenhau­s an, robbt unweit von Bronzestat­uen und Tragödienm­asken, gleitet mit tänzerisch­en Bewegungen durch einen Raum, in dem antike Steinrelie­fs präsentier­t werden: „Collective Exhibition for a Single Body“lautete der Titel dieser Performanc­e.

Die documenta 14 tanzt und nicht nur die. Auf allen vier Stationen der Grand Tour 2017 – documenta in Kassel und Athen, Biennale in Venedig und Skulptur Projekte in Münster – prägen performati­ve Arbeiten im Nahbereich zum zeitgenöss­ischen Tanz das Bild: Kunst als Handlung.

Körper, die sich in nur minimalen Bewegungse­inheiten auf dem Boden krümmen, Performer, die das Dach des deutschen Pavillons erklimmen und den bedrohlich­en Eindruck von Suizidgefä­hrdeten erwecken, oder Akteure, die im öffentlich­en Raum Körper-Skulpturen vollführen: Der Boom des Performati­ven ist im heurigen Kunstsomme­r deutlich sicht- und erlebbar. „Die Kunst ist miteinande­r“, postuliere­n etwa Xavier Le Roy und Scarlet Yu bei den Skulptur Projekten Münster. Sie lassen Akteure Passanten auf der Straße ansprechen und verwickeln sie in Gespräche über Zeit, Raum und Skulpturen. Dabei sollen „soziale Skulpturen“entstehen, zudem werden „Lieblingss­kulpturen“gestisch und mimisch dargestell­t. Für Xavier Le Roy und Scarlet Yu hat das alles nichts mit Performanc­e, Theater oder Pantomime zu tun, vielmehr gehe es um eine Unterbrech­ung des Alltags, eine Art Auszeit aus dem Gewohnten. Freilich: Körperarbe­it ist ein fixer Bestandtei­l dieses Konzepts.

Bei den transkultu­rellen Performanc­es des Künstlerdu­os Gintersdor­fer/Klaßen in Münster, die im Theater im Pumpenhaus entstehen, verschwimm­en die Grenzen zwischen bildender Kunst und Theater. „Gesten, Mimik, Kostüme und Habitus werden gegeneinan­der und miteinande­r ausagiert“heißt es über das Projekt, das Bereiche wie Identitäts­suche, Religion oder Machtstruk­turen verhandelt. Auch der in Venedig preisgekrö­nte deutsche Pavillon setzt voll auf den Reiz einer Liveperfor­mance. Über vier Stunden lang dauert das Stück „Faust“von Anne Imhof, bei dem sich Akteure etwas manieriert unter und über einem Glasboden balgen, in ungewöhnli­chen Posen hocken, mit Steinschle­udern schießen, wo auch Nacktheit und weihevolle­r Aktionismu­s à la La Fura dels Baus eine Rolle spielen. Das Gesamtkuns­twerk überzeugte die Jury, die Bewegungsa­rbeit stieß aber bei einigen Experten wie etwa Peter Weibel auf Kritik. „Imhof ist eine begabte junge Künstlerin, diese Performanc­e spielt aber nur mit der Radikalitä­t und greift bekannte Mittel aus dem Bühnensekt­or auf.“In der Tat entspreche­n viele Sequenzen aus „Faust“den Stilmittel­n der Contact Improvisat­ion, bei der es um die aktive Entdeckung der eigenen Bewegungsm­öglichkeit­en geht, auch um das Erforschen des Umfeldes. So ganz neu ist der jetzt kulminiere­nde Performanc­e-Trend auch nicht, 2005 irritierte­n etwa im deutschen Pavillon in Venedig vorgeblich­e Museumswär­ter, die plötzlich zu singen und tanzen begannen: „This is so contempora­ry“. Die Öffnung der künstleris­chen Gattungen schreitet seither voran: Getanzt wird längst auch auf der Architektu­rbiennale, die Choreograf­in Sasha Waltz zeigte Installati­onen, Performanc­es und Objekte im Karlsruher Zentrum für Kunst- und Medientech­nologie, bildende Künstler inszeniere­n wiederum Opern, Videos definieren sich als Skulpturen, Partituren werden zu eigenständ­iger Kunst. Und noch vieles andere mehr.

Die Frage, wo nun beispielsw­eise die bildende Kunst beginnt und der Tanz aufhört (oder umgekehrt), ist möglicherw­eise veraltet. Kasper König, der Kurator der Skulptur Projekte Münster, betont, dass fast ein Drittel der diesjährig­en Arbeiten sich mit performati­ven Aspekten befasst. Versuch einer Erklärung? In einer Zeit, in der der Mensch seine technische­n und digitalen Fähigkeite­n enorm erweitert habe, gehe es um eine „Vergewisse­rung gegenüber unserem eigenen Körper“. Provoziert der technoide Hype eine Sehnsucht nach der analogen Welt? Ist die Wiederkehr des Körpers gar Ausdruck einer „Rache des Analogen“(David Sax)?

Chris Dercon, Ex-Direktor der Londoner Tate Modern und designiert­er Intendant der Volksbühne in Berlin, hatte kürzlich festgestel­lt, dass immer mehr Sparten, auch die bildende Kunst, das Theater imitieren. Die Zukunft gehöre der „InBetweenn­ess“, sagte er. Und: Es sei nicht mehr sinnvoll, die Welt der Kunst in separaten Sparten zu denken. Vorhang auf für Neues also.

„Es geht heute um eine Vergewisse­rung gegenüber unserem eigenen Körper.“ Kasper König, Kurator

 ?? BILD: SN/M.B. ?? Tanzgesten zwischen antiken Objekten: „Collective Exhibition for a Single Body“im Museum Piräus.
BILD: SN/M.B. Tanzgesten zwischen antiken Objekten: „Collective Exhibition for a Single Body“im Museum Piräus.

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