Vorsicht: Performance verändert den Blick
Kurze Irritationen in der Altstadt, Bowie im republic: Die Sommerszene spielt mit der Wirklichkeit.
So arg der Wirklichkeit entrückt sieht der Jüngling gar nicht aus, der da mit Ruderleiberl, kurzer Hose und Motorradhelm auf dem Alten Markt gegen den Menschenstrom antanzt. Zumindest wirkt er auch nicht ungewöhnlicher als die Touristin, die kurz zuvor mit aufgespanntem Regenschirm durch die Abendhitze spaziert ist. Trotzdem interessieren sich zwei Streifenbeamte jetzt für die Irritation, die der Helmträger mit seinen Tanzbewegungen im Alltagsbild verursacht. Sie können ja noch nicht wissen, dass ein paar Gässchen weiter zwei andere Tänzer mit Axt und Vorschlaghammer in der Hand bei Uneingeweihten ebenfalls ein paar Fragen auslösen könnten.
Vorsicht: Performances im öffentlichen Raum können den Blick auf die Realität verändern. Mit dem Prinzip spielt auch „What the Hell“, ein Stück, das Michikazu Matsune mit Studierenden des Salzburger Tanzzentrums SEAD für die Sommerszene erarbeitet hat. Sechs Stationen umfasst der Stadtspaziergang mit kleinen Eingriffen in den Alltag, der heute, Montag (18 Uhr), letztmals zu sehen ist. Auf dem Mozartsteg weiß niemand, wer der Performer sein könnte, der sich unauffällig unters Volk mischen wollte. Im Hof des Salzburg Museums zeigt eine Gruppe von Studierenden eine stumme Performance mit gefundenem Müll (Gummistiefeln, Autoreifen, Radfelgen), draußen spielt ein Straßenmusiker Vivaldi: Als ob sie aufwendig miteinander synchronisiert wären, überlagern sich Alltagskulisse und Inszenierung.
Als ob sie füreinander gemacht wären, so greifen auch bei der belgischen Choreografin Claire Croizé Bewegung und Klang ineinander. Zu Songs von David Bowie bewegen sich die vier Tanzenden im Stück „Evol“(umgedreht: Love), das am Samstag im republic Ö-Premiere hatte. Die Choreografie entstand jedoch zunächst still, die Songs wurden nachträglich unterlegt. Auch „Evol“spielt mit reizvoll gegensätzlichen Ebenen. Pop trifft auf Tanzperformance, also: die Kunst, Botschaften für eine größtmögliche Zielgruppe hörbar zu machen, auf die Kunst, den eigenen Ausdruck möglichst kompromisslos zu individualisieren. Auf die „Musik ihrer eigenen Körper“(Programmtext) wollte Croizé ihr Quartett hinführen. Zwischen Soli und Duetten, zwischen Aufbegehren und Verharren, Taumeln, Fallen und Wiederaufstehen bewegen sich die zwei Tänzerinnen und zwei Tänzer.
Freilich geht der Drang zur individuellen Körperarbeit zwischendurch auch auf Kosten der Nachvollziehbarkeit. Doch Bowies Song-Kosmos lieferte dafür jedem Zuschauer seine eigenen Assoziationshilfen – bis zum wiederum starken Finale, in dem die Performer mit Glitzerhose und Glam-Rock die Entrückung feierten, den Sound von David Bowie im Ohr.