Salzburger Nachrichten

Wenn aus dem Begehren die Mordgefahr erwächst

In Cannes wurde sie als „beste Regisseuri­n“geehrt: Sofia Coppolas „Die Verführten“kommt nun ins Kino und ist ein kühnes Südstaaten­schauerdra­ma mit Starbesetz­ung.

- Kino: Die Verführten. Drama, USA 2017. Regie: Sofia Coppola. Mit Nicole Kidman, Kirsten Dunst, Colin Farrell, Elle Fanning. Start: 30. 6.

Mächtige dunkle Bäume, von denen wie geklöppelt­e Spitze Spanisches Moos hängt, Nebel steigt aus den Wiesen, und im Hintergrun­d thront eine schneeweiß­e Villa mit klassizist­ischem Säulenport­ikus: „Die Verführten“von Sofia Coppola spielt vor romantisch­er Südstaaten­kulisse wie im Bilderbuch, im Virginia des Jahres 1864. Früher wurden an solchen Orten im Kino Kriege um Herzen ausgefocht­en, jetzt tobt der Sezessions­krieg, in der Ferne rumpelt Kanonendon­ner, und die wenigen verblieben­en Frauen und Kinder in Martha Farnsworth­s Mädchenpen­sionat drängen sich ängstlich aneinander in ihren anmutigen weißen Rüschenkle­idern. Eine von ihnen, die elfjährige Amy, hat beim Schwammerl­suchen einen verletzten Unionssold­aten gefunden, einen Feind. Doch auch einem verletzten Feind muss geholfen werden, heißt es in der Bibel. Also hat Amy den fremden Soldaten mitgebrach­t, verdreckt, blutversch­miert, halb ohnmächtig. Gewaschen und verarztet erweist sich der Mann (gespielt von Colin Farrell) freilich als höflich, wortgewand­t und reizvoll in mehr als nur einer Hinsicht, und die Schar der Mädchen um Schulleite­rin Miss Farnsworth (Nicole Kidman) und Musiklehre­rin Edwina Dabney (Kirsten Dunst) ist in heller Aufregung.

Die Szenerie, vor der „Die Verführten“spielt, war zuletzt Filmschaup­latz für Geschichte­n ganz anderer Art, um Sklaverei ging es da, um Folter, Mord und Vergewalti­gung, in Filmen wie „12 Years a Slave“, „Birth of a Nation“, „Django Unchained“, und an den Ästen, an denen hier malerisch das Spanische Moos weht, hingen gelynchte Sklaven. Dieser Teil der amerikanis­chen Geschichte bleibt in Coppolas Film unausgespr­ochen. Doch die rohe Brutalität der weißen Herrscherk­aste ist auf andere Weise präsent und bringt die Erzählung zum Vibrieren, etwa wenn zu Beginn kurz erwähnt wird, warum die Schule so desolat ist: Die schwarzen Männer und Frauen, die das Haus bis vor Kurzem instand zu halten gezwungen waren, sind alle längst gegangen, und die noblen weißen Damen sind es nicht gewöhnt, sich die Hände dreckig zu machen. Sie sind es auch nicht gewöhnt, mit sinnlichen Verführung­en umzugehen, und die Anwesenhei­t dieses charmanten Mannes, der mit jeder von ihnen ein wenig anders, vertraut, verschwöre­risch umgeht, bedroht das stabile Gefüge der Frauengeme­inschaft: Auf einmal gibt es Eifersucht, plötzlich aufblühend­es sexuelles Begehren, auf einmal ist da Neid. Und gegen diese Bedrohung gilt es sich abzugrenze­n – mit drastische­m Ausgang.

Der Stoff, auf Basis dessen Coppola ihren Film gedreht hat, ist das gleichnami­ge Southern-GothicDram­a von Thomas P. Cullinan von 1966 und wurde 1971 bereits einmal verfilmt, mit einem blutjungen Clint Eastwood als verletztem Soldaten. Unter der Regie von Sofia Coppola wird aus dem schaurigen Drama eine betörend sinnliche, zugleich kluge, witzige und hinterfotz­ige Studie über das Begehren der jungen Frauen und Mädchen, die sich angesichts des Soldaten abarbeiten an verletzlic­her, verführeri­scher, manipulati­ver, reizvoller bis hin zu bedrohlich­er Männlichke­it. Nicole Kidman wurde dafür in Cannes mit dem Spezialpre­is des Festivals ausgezeich­net, Sofia Coppola wurde als beste Regisseuri­n geehrt – im Übrigen erst die zweite Frau in 70 Jahren Festivalge­schichte, der dieser Preis zuteilwurd­e.

Ein Hinweis: Im Filmcasino Wien gibt es „Die Verführten“von 1971 und von 2017 im Double Feature, Fr., 30. Juni, und Fr., 7. Juli (jeweils ab 20.30 Uhr). www.filmcasino.at

Auch dem Feind muss geholfen werden

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BILD: SN/UPI Die Pensionats­leiterin Martha Farnsworth (Nicole Kidman) und der Unionssold­at (Colin Farrell).

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