Katar besteht auf seinem eigenen Kurs
Beim Streit zwischen Katar und seinen arabischen Nachbarn geht es um Fragen der Macht. Doch die Missgunst der Regenten spielt eine ebenso wichtige Rolle.
Gut ein Jahr lang hatten mehr als 1000 katarische Elitesoldaten im Süden Saudi-Arabiens die Grenze zum Jemen gesichert. Als Anfang Juni die von Riad und Abu Dhabi dominierte „Arabische Koalition“Sanktionen gegen Katar verhängte, wurden die Truppen in das Emirat zurückbeordert, wo sie seither Regierungsgebäude bewachen. Wäre es nach den Saudis gegangen, würden die Soldaten noch immer an der Grenze zum Jemen stehen, blockiert von den eigenen Streitkräften. Und in das Emirat Katar wären Söldner des amerikanischen „Militärdienstleisters“Academi einmarschiert, des Nachfolgers des berüchtigten Blackwater-Konzerns, um den dort herrschenden Al-Thani-Clan zu stürzen.
Glaubt man dem in der Regel hervorragend informierten saudischen „Whistleblower“Mujtahidd (mit 1,8 Millionen Followers bei Twitter), konnte die amerikanische CIA den Umsturzversuch verhindern. Als Warnung an die Saudis schickten die USA zwei Kriegsschiffe nach Katar, die am 14. Juni Manöver mit der katarischen Marine begannen: zur Terrorbekämpfung, wie es offiziell hieß. Auf diplomatischer Ebene rückte US-Außenminister Rex Tillerson ein wenig vom Verbündeten Riad ab. „Einige der Punkte“im Forderungskatalog der „Arabischen Koalition“an Katar seien „schwierig zu erfüllen“.
Die Koalition verlangt die Schließung des Fernsehsenders AlDschasira, den Abbruch der diplomatischen Beziehungen zum Iran und die Einstellung sämtlicher Kontakte zur Moslembruderschaft und anderen „Terrorgruppen“. Zudem solle Katar umfangreiche Entschädigung bezahlen. Die Türkei müsse seine kleine Militärbasis in Doha binnen zehn Tagen schließen. Die Regierung in Doha hat die Forderungen als Erpressungsversuch zurückgewiesen. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan bezeichnete es als „Respektlosigkeit gegenüber der Türkei“, den Abzug türkischer Truppen zu verlangen. Man benötige keine Erlaubnis von Riad. Ankara hat bereits mehr als 100 Flugzeuge mit Lebensmitteln nach Katar geschickt. Mehr als 1000 Tonnen Lebensmittel und andere Güter kommen jeden Tag auf dem Seeweg aus Iran. Katars Emir Tamin al Thani telefonierte mit dem iranischen Staatspräsidenten Hassan Rohani, der die „Weiterentwicklung“der bilateralen Beziehungen hervorhob. Die Islamische Republik stehe „an der Seite des Volkes und der Regierung von Katar“.
So zeigt die Blockade Riads bislang kaum Wirkung. Ein Besuch der Lebensmittelabteilung des „Lulu“Hypermarkts in Doha zeigt ein riesiges Warenangebot. Die Kunden können zwischen Äpfeln aus dem Libanon, Südtirol und Südafrika wählen. Noch größer ist die Auswahl bei Orangen, Zwiebeln und Mangos. Milch, Ayran und Kefir aus der Türkei werden anstelle saudischer Molkereiprodukte verkauft. Hammelkeulen kommen aus dem Iran. Prall gefüllt ist auch das SushiRegal.
Es fehlt an nichts. „Natürlich können uns die Saudis nicht aushungern“, betont Abed Haschem, ein Soldat, der mit seinem Vater Abdelhamid im Souk Wakif von Doha eine Wasserpfeife raucht. Die beiden wirken entspannt. Wütend mache sie nur die Arroganz der Nachbarn, ihr „hinterhältiger Versuch, mit einer anhaltenden Blockade ein kleineres Land zu unterwerfen“.
Akbar al Baker, der Generaldirektor von Qatar Airways, sagte dem TV-Sender Al-Dschasira: „Da sind Wunden für eine ganze Generation geschlagen worden, die Menschen werden sie niemals vergessen.“
Es geht um geostrategische Interessen, wirtschaftliche Macht und auch um „Missgunst und Niedertracht sowie um den Narzissmus von Führerpersönlichkeiten mit unterschiedlichen Begabungen“, wie ein europäische Diplomat sagte.
Gemeint sind Scheich Tamin al Thani in Katar und Mohammed bin Salman, jüngster Sohn des saudischen Königs, Verteidigungsminister des Landes und inzwischen offiziell Thronfolger. Beide Männer sind Mitte 30. Für den Saudi sei es „unerträglich“, dass ein fast gleichaltriger Fürst seine eigenen Wege gehe und damit noch dazu politischen und wirtschaftlichen Erfolg habe, meint Hassan Abdelghani, ein Redakteur der „Qatar Tribune“. Im Gegensatz zum saudischen Königssohn habe der in englischen Elite-Internaten und Militärakademien ausgebildete Emir viele seiner Visionen schon verwirklicht. Dem Saudi werden dagegen „Minderwertigkeitskomplexe“sowie eine „gefährliche Iran-Phobie“angelastet. „Sie können doch ein Land mit einer 5000 Jahre alten Geschichte nicht ausgrenzen“, betont ein wissenschaftlicher Mitarbeiter im Islamischen Museum von Doha und rechtfertigt so die guten Kontakte des katarischen Emirs zu Teheran.
Dass das große Saudi-Arabien das kleine Katar unter Quarantäne zu stellen versuche, sei dramatisch, werde den Golfstaat aber nicht umwerfen. „Dazu ist das Land viel zu gut vernetzt“, sagen Wirtschaftsexperten in Doha. „Es entstehen neue Allianzen“, analysiert der libanesische Publizistikprofessor Rami Khouri.
Nicht nur die Türkei und der Iran, zwei regionale Großmächte, hätten sich an die Seite Katars gestellt. Auch Kuwait, der Oman und Marokko seien auf Distanz zur „saudischen Allianz“gegangen. Noch wichtiger sei die Entschlossenheit der Europäer, sich neutral zu verhalten. Als potenter Verbündeter bleibe den Saudis nur US-Präsident Donald Trump.