Der Pflegeregress fällt 2018
In die Freude mischen sich kritische Zwischentöne. Der Chef der Landeshauptleutekonferenz drängt auf eine Debatte über die Folgen – und auf den Ersatz aller Folgekosten.
Ab kommendem Jahr wird nicht mehr aufs Vermögen von Pflegeheimbewohnern zugegriffen. Im Nationalrat wurde am Donnerstag mit breiter Mehrheit die Abschaffung des Pflegeregresses beschlossen. SPÖ und ÖVP zeigten sich mit der Einigung überaus zufrieden. Von den derzeit 75.000 bis 80.000 Heimbewohnern werden etwa 40.000 über Pension und Pflegegeld hinaus zur Kassa gebeten.
Konkret untersagt der Bund den für die Organisation und Finanzierung der Pflege zuständigen Ländern ab 1. Jänner 2018, einen Regress im Heim einzuheben. Derzeit werden nicht nur der größte Teil von Pension und Pflegegeld für die Pflege im Heim herangezogen, sondern auch das Privatvermögen, sofern vorhanden. Frühzeitige Vermögensübertragung konnte, musste aber nicht helfen: Die Fristen, während derer zugegriffen werden kann, reichen je nach Bundesland bis zu zehn Jahre zurück, Schenkungen können bis zu fünf Jahre zurückgefordert werden.
Auf äußerst wackeligen Beinen steht die Gegenfinanzierung der Regressabschaffung: Am Mittwoch hatte es sowohl aufseiten der SPÖ als auch der ÖVP geheißen, dass mindestens 200 Millionen Euro pro Jahr notwendig sein dürften, um den Ländern die Einnahmenausfälle und die zu erwartenden Ausgabensteigerungen abzugelten, da die Zahl der Pflegeheimbewohner ohne Regress steigen werde. Nun sollen nur mindestens 100 Millionen Euro an die Länder gehen.
Das Geld soll durch zwei Maßnahmen hereinkommen: Die ECard wird ab dem Jahr 2019 mit einem Foto ausgestattet – das soll Missbrauch und Betrug bei Gesundheitsleistungen verhindern. Und die Heime sollen künftig die benötigten Medikamente direkt und günstiger bestellen können – das dafür notwendige Gesetz muss allerdings erst formuliert und beschlossen werden. Weitere Geldquellen wurden bisher nicht genannt.
Die Abschaffung des Pflegeregresses wurde rundum erfreut aufgenommen, insbesondere Pensionistenverband (SPÖ) und Seniorenbund (ÖVP) jubelten. Die mahnenden Zwischentöne waren aber nicht zu überhören. So sprach etwa Othmar Karas, Präsident des Hilfswerks, von einem „gelungenen Startschuss“für eine umfassende und tragfähige Reform des österreichischen Pflegesystems. Der Behindertenverband ÖZIV begrüßte die Regressabschaffung, warnte aber zugleich davor, das Thema Pflege in den Wahlkampf zu ziehen.
Die FPÖ und das Team Stronach verbuchten die Regressabschaffung und das kommende Foto auf der ECard als ihre Erfolge. Kritischer äußerten sich die Neos. Der Pflegeregress in seiner derzeitigen Form sei zwar „unakzeptabel“, die hastige Einigung erinnere aber an den Wahlkampf 2008, als milliardenschwere Wahlzuckerl verteilt wurden. Die Neos stimmten im Nationalrat am Donnerstag gegen den Entwurf.
In den Ländern, die von der vom Bund verfügten Regressabschaffung überrumpelt wurden, regt sich schon Widerstand. Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP), der heute den Vorsitz in der Landeshauptleutekonferenz übernimmt, erklärte, die zugesagten 100 Millionen Euro würden mit Sicherheit nicht reichen, vielmehr werde den Ländern kurzfristig eine Finanzlücke von rund 200 Mill. Euro entstehen. Dabei sei noch überhaupt nicht über die Folgekosten gesprochen worden, die durch verstärkte Nachfrage nach Pflegeheimplätzen entstehen werden. Wallner: „Die derzeitige Finanzierung der Pflege wird dafür nicht ausreichen.“Und: Der Bund habe den Ländern die Einnahmenausfälle und die Folgekosten der Regressabschaffung zu ersetzen.