Missbrauch: Vatikan-Kardinal muss vor Gericht
Justiz sucht die Wahrheit nach jahrelangen Vorwürfen im australischen Pädophilieskandal.
Die Nachricht von der Anklage gegen den australischen Kardinal George Pell (76), als Finanzchef von Papst Franziskus die Nummer drei im Vatikan, wegen sexuellen Vergehen an minderjährigen Buben erreichte Rom gegen Mitternacht. Doch die Mitteilung, dass einer der ranghöchsten katholischen Würdenträger wegen des Verdachts des Missbrauchs vor Gericht muss, war alles andere als eine Überraschung. Bei der Anklageerhebung handelte es sich nur noch um eine Formalie.
Bereits vor einigen Wochen hatten die Behörden die Weichen gestellt. „Er muss am 18. Juli hier in Australien vor Gericht erscheinen, um sich gegen Vorwürfe von zahlreichen Betroffenen zu verantworten“, erklärte nun ein Polizeisprecher in Melbourne. Dem Geistlichen werden mehrere sexuelle Vergehen zur Last gelegt. Einzelheiten nannte die Polizei wegen des laufenden Verfahrens nicht. Die Vorfälle haben sich angeblich in den 1970er- und 80er-Jahren zugetragen. Der Prozess ist der vorläufige Endpunkt nach jahrelangen Vorwürfen, Enthüllungen und der Arbeit einer parlamentarischen Untersuchungskommission. Sie kam zum Schluss, dass zwischen 1950 und 2010 gegen sieben Prozent aller katholischen Priester im Land Pädophilievorwürfe erhoben wurden, ohne dass jemals ermittelt wurde. Insgesamt seien der Kirche in dieser Zeit mehr als 4400 mutmaßliche Vorfälle von sexuellem Missbrauch Minderjähriger gemeldet worden. Pell musste sich immer wieder mit der Kritik auseinandersetzen, die Skandale vertuscht und die Priester gedeckt zu haben.
Er weist alle Vorwürfe entschieden zurück und beklagt eine „unerbittliche Rufmordkampagne“. Von der weit verbreiteten Pädophilie habe er nichts gewusst, er selbst habe nichts Unrechtes getan. Von der Kanzel aus und bei öffentlichen Auftritten vertrat Pell stets traditionelle katholische Werte, von einer harten Linie gegenüber Sterbehilfe und Homoehe bis hin zur Leugnung des Klimawandels.
Bisher hatte er eine Heimkehr nach Australien abgelehnt. Im Oktober 2016 wurde er von der australischen Polizei im Vatikan vernommen. Pell war von Papst Franziskus trotz der Vorwürfe zum Schatzmeister befördert worden. Nun legte er sein Amt vorübergehend zurück und kündigte an, sich dem Gericht zu stellen. Papst Franziskus erklärte 2016: „Es stimmt, es gibt Zweifel. Aber wir können keine Entscheidung fällen, die auf Gerede beruht. Wenn es ein Urteil gibt, werden wir uns entscheiden.“Die Galgenfrist des mächtigen Kirchenmannes aus Australien könnte sich dem Ende nähern.