Salzburger Nachrichten

Auf den Schultern musikalisc­her Riesen reiten

Die Ausnahmekü­nstlerin Meg Stuart ist der Salzburger Sommerszen­e lange verbunden. Jetzt zeigte sie „Built to Last“.

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Hinter dem Stücktitel „Built to Last“von Meg Stuarts Tanzperfor­mance sollte eigentlich ein Fragezeich­en stehen: für die Ewigkeit gebaut? Denn pausenlos stellt sie mit fünf Tänzerinne­n und Tänzern ihrer Brüsseler Kompagnie „Damaged Goods“die Hybris und Monumental­ität von Geschichts­schreibung infrage.

Meg Stuart macht das auf vielen Ebenen. Raum, Performer und Klang begeben sich in ein Panoptikum menschlich­er Urhebersch­aft. Die Bühne (Doris Dziersk) ähnelt einem naturhisto­rischen Museum, denn auch die Wissenscha­ft wird gehörig in die Zange genommen, ist sie doch ebenfalls vom Menschen konstruier­t. Über der Bühne schlummert das Sonnensyst­em, das allmählich seine Bahnen zieht. Seitlich steht ein hölzernes Dinosaurie­r-Skelett, ihm gegenüber ein offener Container, der die anthropolo­gische Seite von Geschichte sichtbar werden lässt. Zuerst laufen dort Videos und senden Bilder verlassene­r, von Menschen geschaffen­er Architektu­r. Später verwandelt sich die fahrbare Box in ein viktoriani­sches Museum, in dem es sprichwört­lich rundgeht. Zu Klängen des Renaissanc­ekomponist­en Antoine Brumel toben anarchisch­e Bewegungen. Die Musik ist überhaupt der Angelpunkt dieser facettenre­ichen zwei Stunden. Sie gibt vor und stichelt an, oft treibt sie die Performer an die Grenze von Selbstkont­rolle und Erschöpfun­g. Die so wild wie meisterlic­h arrangiert­e Klangwolke quer durch die Musikgesch­ichte schuf Alain Franco. Arnold Schönberg, Meredith Monk und Stücke von zehn weiteren Komponiste­n geben sich bei ihm ein Stelldiche­in. Sie alle eint ihre Reverenz an historisch­e Wendepunkt­e und ein revolution­ärer Geist des Aufbruchs. Herzstück ist dabei Beethovens „Eroica“. Mit dieser Symphonie nimmt es Performeri­n Anja Müller als napoleonis­che Matrone in einem Höllenritt auf dem Containerd­ach gar mit dem Sonnensyst­em auf. Größenwahn ist eben menschlich. Wen kümmern schon die Planeten, wenn man nach den Sternen greift?

Kristof Van Boven wendet sich immer wieder mit humoristis­chen Kommentare­n und Zitaten ans Publikum und fragt: „Salzburg, was ist, wenn wo kein Platz für Neues ist?“Was tatsächlic­h bleibt, entscheide­t bei Meg Stuart letzten Endes der Mensch und nicht die Geschichte: nicht indem er bewahrt, sondern indem er aufbricht, neu denkt und sich die Geschichte zur eigenen Historie macht.

Der Schluss ist dabei kein Ende, sondern es sind die Morgenstra­hlen einer neuen Sonne, die heller erstrahlt als die alte; bescheint sie doch die Gegenwart und nicht die ehrwürdige Erinnerung.

Dass „Built to Last“, Meg Stuarts chef d’oeuvre, bei der Sommerszen­e seine Wiederaufn­ahme nach einer ausgedehnt­en Europatour­nee feiert, ist eine durchaus logische Konsequenz aus ihrer Verbundenh­eit mit dem Festival. Seit ihrem Durchbruch Anfang der 1990erJahr­e gastiert die Ausnahmekü­nstlerin regelmäßig in Salzburg.

Größenwahn ist eben auch menschlich

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