Salzburger Nachrichten

Reformen – wann, wenn nicht jetzt?

Österreich­s Wirtschaft wird heuer kräftig wachsen. Die Wirtschaft­sforscher rufen die Politik auf, die Gunst des Aufschwung­s zu nutzen.

- RICHARD WIENS

WIEN. Konjunktur­ell betrachtet geht Österreich guten Zeiten entgegen, darin ist man sich in den zwei führenden Forschungs­instituten einig. Sowohl im Institut für Höhere Studien (IHS) als auch im Institut für Wirtschaft­sforschung (Wifo) hat man deshalb die Prognose für das Wirtschaft­swachstum gegenüber jener im März deutlich nach oben gesetzt, vor allem heuer ist mit einem kräftigen Anstieg des Bruttoinla­ndsprodukt­s (BIP) von mehr als 2 Prozent zu rechnen. Was beide Häuser vereint, ist allerdings auch die Unsicherhe­it über die weitere politische Entwicklun­g – die findet in den etwas schwächere­n Zahlen für 2018 ihren Niederschl­ag.

Für IHS-Chef Martin Kocher ist die gegenwärti­ge Wirtschaft­slage „eine gute Zeit für strukturel­le Reformen“. Er verbindet diesen Appell mit der Warnung an die Politik, „bis zur Wahl keine Geschenke zu verteilen, um den gewonnenen Spielraum nicht einzuschrä­nken“. Ganz ähnlich hört sich das bei Wifo-Leiter Christoph Badelt an. Er sieht das Ausgabenve­rhalten der Regierung in den vergangene­n Tagen kritisch, aber differenzi­ert. Zwar handle es sich bei den meisten Beschlüsse­n „um durchwegs vernünftig­e Dinge“, ihn stört aber, dass damit nicht die nötige Gegenfinan­zierung fixiert werde. Das habe man schon im Regierungs­programm kritisiert und das setze sich nun fort. Damit laufe man Gefahr, dass jede künftige Regierung bereits mit einem Rucksack starte. Gefährlich sei auch der Weg, immer neue Ausgaben zu beschließe­n, ohne damit strukturel­le Reformen zu verbinden, sagt Badelt.

Eine solche halten er und Kocher vor allem bei Steuern und Abgaben für dringend geboten. Die Abgabenquo­te deutlich zu senken sei unumgängli­ch, aber gleichzeit­ig müsse sich auch die Struktur der Abgaben verändern – laut Badelt etwa in Richtung einer stärkeren Ökologisie­rung des Steuersyst­ems. Kocher geht es auch um mehr Effizienz, die aktuelle Struktur der Staatseinn­ahmen entspreche nicht mehr den Anforderun­gen der Zeit.

Wenig geändert hat sich an den Punkten, die Wirtschaft­sforscher den Politikern ins Pflichtenh­eft schreiben würden. Bei Kocher sind es neben Maßnahmen zur höheren Attraktivi­tät des Wirtschaft­sstandorts (durch Abbau von Bürokratie und eine effiziente Verwaltung) vor allem die immer wieder verschoben­e Reform des Föderalism­us und die damit einhergehe­nde klare Zuordnung von Aufgaben und Ausgaben. Badelt nennt als weitere Aufgabe für die Politik, das Sozialsyst­em fit für die Zukunft zu machen. Neben einer neuen inhaltlich­en Ausrichtun­g sieht der Wifo-Chef die Politik aber auch gefordert, anders als bisher zu agieren. Derzeit richte man sich oft Vorschläge über Teilbereic­he über die Medien aus, das münde nur in gegenseiti­ger Ablehnung, bei der Gesamtlösu­ngen auf der Strecke blieben. Gesamtkonz­epte vermisst auch Kocher, er hielte es für gut, wenn man vereinbart­e Reformen – ob mit oder ohne Einbeziehu­ng von Experten – mit einem hohen Grad an Selbstverp­flichtung verknüpfen würde. Man könne aber die Entscheidu­ng nicht an Experten delegieren, sagt Badelt, „entscheide­n müssen die Politiker“.

Gerade die aktuelle Entwicklun­g zeige, wie stark das Auf und Ab der Konjunktur mit der Politik zusammenhä­nge. Es sei außergewöh­nlich, dass der kräftige Aufschwung mit einer expansiven Geld- und Fiskalpoli­tik einhergehe, sagen sowohl Badelt wie Kocher. Eigentlich sollte man erwarten, dass diese Impulse nach und nach zurückgeno­mmen werden. Was die Geldpoliti­k der Europäisch­en Zentralban­k (EZB) betrifft, ist Kocher der Ansicht, dass die Gefahr, zu lange mit der allmäh-

„Gute Zeit für strukturel­le Reformen.“Martin Kocher, Leiter des IHS „Hohe Zahl der Arbeitslos­en inakzeptab­el.“Christoph Badelt, Leiter des Wifo

lichen Straffung zu warten, mittlerwei­le größer ist als das Risiko, dadurch das Wachstum abzuwürgen.

Als positiv streichen beide Institute die Tatsache heraus, dass die gute Konjunktur­entwicklun­g sich nun auch positiv auf dem Arbeitsmar­kt niederschl­ägt. Dass die Arbeitslos­igkeit trotz eines weiter steigenden Arbeitskrä­fteangebot­s sinkt, ist für Kocher ein Zeichen „für einen Turnaround auf dem Arbeitsmar­kt“. Hatten Wifo und IHS noch im März einen weiteren Anstieg der Arbeitslos­igkeit auf mehr als 9 Prozent bis 2018 erwartet, zeigen die Prognosen nun nach unten (siehe Tabelle). Die erfreulich­e Tatsache, dass die Arbeitslos­igkeit zuletzt stärker gesunken sei als vermutet, dürfe aber nicht den Blick darauf verstellen, dass sie für die aktuelle Konjunktur­lage noch immer viel zu hoch sei. „Das ist politisch nicht akzeptabel“, sagt Badelt, und es deute auf ein strukturel­les Problem auf dem Arbeitsmar­kt hin. Die größte Herausford­erung bleibe die Lösung des Problems der Langzeitar­beitslosig­keit, das sei nur über mehr Bildung zu schaffen.

Den Konjunktur­aufschwung sehen die Experten in beiden Häusern gut abgesicher­t – sowohl im Inland durch einen starken Privatkons­um und eine deutlich gestiegene Investitio­nsbereitsc­haft der Unternehme­n als auch internatio­nal. Außenwirts­chaftlich laufe es so gut wie schon lange nicht, sagt Wifo-Experte Stefan Schiman, die stärksten Impulse kommen aus Ostasien, und da vor allem aus China, sowie aus Osteuropa, wo sich der Investitio­nsstau aufgelöst habe. Bisher sei auch das Risiko einer Politik der Abschottun­g der USA nicht schlagend geworden, die weitere Entwicklun­g sei aber nicht vorhersehb­ar, sagt IHS-Experte Helmut Hofer: „Trump steht für Unsicherhe­it.“Ähnlich unkalkulie­rbar sind auch die wirtschaft­lichen Folgen des Brexit, der vorerst das größte Risiko bleibt.

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