Reformen – wann, wenn nicht jetzt?
Österreichs Wirtschaft wird heuer kräftig wachsen. Die Wirtschaftsforscher rufen die Politik auf, die Gunst des Aufschwungs zu nutzen.
WIEN. Konjunkturell betrachtet geht Österreich guten Zeiten entgegen, darin ist man sich in den zwei führenden Forschungsinstituten einig. Sowohl im Institut für Höhere Studien (IHS) als auch im Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo) hat man deshalb die Prognose für das Wirtschaftswachstum gegenüber jener im März deutlich nach oben gesetzt, vor allem heuer ist mit einem kräftigen Anstieg des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von mehr als 2 Prozent zu rechnen. Was beide Häuser vereint, ist allerdings auch die Unsicherheit über die weitere politische Entwicklung – die findet in den etwas schwächeren Zahlen für 2018 ihren Niederschlag.
Für IHS-Chef Martin Kocher ist die gegenwärtige Wirtschaftslage „eine gute Zeit für strukturelle Reformen“. Er verbindet diesen Appell mit der Warnung an die Politik, „bis zur Wahl keine Geschenke zu verteilen, um den gewonnenen Spielraum nicht einzuschränken“. Ganz ähnlich hört sich das bei Wifo-Leiter Christoph Badelt an. Er sieht das Ausgabenverhalten der Regierung in den vergangenen Tagen kritisch, aber differenziert. Zwar handle es sich bei den meisten Beschlüssen „um durchwegs vernünftige Dinge“, ihn stört aber, dass damit nicht die nötige Gegenfinanzierung fixiert werde. Das habe man schon im Regierungsprogramm kritisiert und das setze sich nun fort. Damit laufe man Gefahr, dass jede künftige Regierung bereits mit einem Rucksack starte. Gefährlich sei auch der Weg, immer neue Ausgaben zu beschließen, ohne damit strukturelle Reformen zu verbinden, sagt Badelt.
Eine solche halten er und Kocher vor allem bei Steuern und Abgaben für dringend geboten. Die Abgabenquote deutlich zu senken sei unumgänglich, aber gleichzeitig müsse sich auch die Struktur der Abgaben verändern – laut Badelt etwa in Richtung einer stärkeren Ökologisierung des Steuersystems. Kocher geht es auch um mehr Effizienz, die aktuelle Struktur der Staatseinnahmen entspreche nicht mehr den Anforderungen der Zeit.
Wenig geändert hat sich an den Punkten, die Wirtschaftsforscher den Politikern ins Pflichtenheft schreiben würden. Bei Kocher sind es neben Maßnahmen zur höheren Attraktivität des Wirtschaftsstandorts (durch Abbau von Bürokratie und eine effiziente Verwaltung) vor allem die immer wieder verschobene Reform des Föderalismus und die damit einhergehende klare Zuordnung von Aufgaben und Ausgaben. Badelt nennt als weitere Aufgabe für die Politik, das Sozialsystem fit für die Zukunft zu machen. Neben einer neuen inhaltlichen Ausrichtung sieht der Wifo-Chef die Politik aber auch gefordert, anders als bisher zu agieren. Derzeit richte man sich oft Vorschläge über Teilbereiche über die Medien aus, das münde nur in gegenseitiger Ablehnung, bei der Gesamtlösungen auf der Strecke blieben. Gesamtkonzepte vermisst auch Kocher, er hielte es für gut, wenn man vereinbarte Reformen – ob mit oder ohne Einbeziehung von Experten – mit einem hohen Grad an Selbstverpflichtung verknüpfen würde. Man könne aber die Entscheidung nicht an Experten delegieren, sagt Badelt, „entscheiden müssen die Politiker“.
Gerade die aktuelle Entwicklung zeige, wie stark das Auf und Ab der Konjunktur mit der Politik zusammenhänge. Es sei außergewöhnlich, dass der kräftige Aufschwung mit einer expansiven Geld- und Fiskalpolitik einhergehe, sagen sowohl Badelt wie Kocher. Eigentlich sollte man erwarten, dass diese Impulse nach und nach zurückgenommen werden. Was die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) betrifft, ist Kocher der Ansicht, dass die Gefahr, zu lange mit der allmäh-
„Gute Zeit für strukturelle Reformen.“Martin Kocher, Leiter des IHS „Hohe Zahl der Arbeitslosen inakzeptabel.“Christoph Badelt, Leiter des Wifo
lichen Straffung zu warten, mittlerweile größer ist als das Risiko, dadurch das Wachstum abzuwürgen.
Als positiv streichen beide Institute die Tatsache heraus, dass die gute Konjunkturentwicklung sich nun auch positiv auf dem Arbeitsmarkt niederschlägt. Dass die Arbeitslosigkeit trotz eines weiter steigenden Arbeitskräfteangebots sinkt, ist für Kocher ein Zeichen „für einen Turnaround auf dem Arbeitsmarkt“. Hatten Wifo und IHS noch im März einen weiteren Anstieg der Arbeitslosigkeit auf mehr als 9 Prozent bis 2018 erwartet, zeigen die Prognosen nun nach unten (siehe Tabelle). Die erfreuliche Tatsache, dass die Arbeitslosigkeit zuletzt stärker gesunken sei als vermutet, dürfe aber nicht den Blick darauf verstellen, dass sie für die aktuelle Konjunkturlage noch immer viel zu hoch sei. „Das ist politisch nicht akzeptabel“, sagt Badelt, und es deute auf ein strukturelles Problem auf dem Arbeitsmarkt hin. Die größte Herausforderung bleibe die Lösung des Problems der Langzeitarbeitslosigkeit, das sei nur über mehr Bildung zu schaffen.
Den Konjunkturaufschwung sehen die Experten in beiden Häusern gut abgesichert – sowohl im Inland durch einen starken Privatkonsum und eine deutlich gestiegene Investitionsbereitschaft der Unternehmen als auch international. Außenwirtschaftlich laufe es so gut wie schon lange nicht, sagt Wifo-Experte Stefan Schiman, die stärksten Impulse kommen aus Ostasien, und da vor allem aus China, sowie aus Osteuropa, wo sich der Investitionsstau aufgelöst habe. Bisher sei auch das Risiko einer Politik der Abschottung der USA nicht schlagend geworden, die weitere Entwicklung sei aber nicht vorhersehbar, sagt IHS-Experte Helmut Hofer: „Trump steht für Unsicherheit.“Ähnlich unkalkulierbar sind auch die wirtschaftlichen Folgen des Brexit, der vorerst das größte Risiko bleibt.