Salzburger Nachrichten

„Der sichere Arzt verwandelt die Angst“

Westliche Schulmediz­in und östliche Heilsystem­e wie Ayurveda oder TCM weisen unterschie­dliche Wege zur Gesundheit. Hier wie dort ist es vordringli­ch, die gesunden Anteile im Patienten zu stärken.

- JOSEF BRUCKMOSER

WIEN, LECH. Das diesjährig­e „Medicinicu­m Lech“will mit „Rezepten aus Ost und West“die vielen Wege zur Gesundheit aufzeigen. Alfred Lohninger, Gynäkologe, Allgemeinm­ediziner, Chronomedi­ziner und TCM-Experte, sieht diesen Brückensch­lag in einem anderen Zugang zu Gesundheit und Krankheit.

Rückenschm­erzen in der westlichen Medizin

Konkret zeigt der Wiener Mediziner den unterschie­dlichen diagnostis­chen und therapeuti­schen Umgang der westlichen Schulmediz­in und der Traditione­llen Chinesisch­en Medizin (TCM) am Beispiel von Rückenschm­erzen auf. Die Schulmediz­in versuche die Schmerzspi­rale zu durchbrech­en, die durch einen aus dem Wirbelkana­l ausgetrete­nen Nerv entstehe – meist aufgrund einer Vorwölbung oder eines Vorfalls von Bandscheib­en mit entspreche­nder Erregung von Schmerzrez­eptoren.

„In der diagnostis­chen Kaskade fragt die Schulmediz­in hoch genau nach dem Was, sie fragt aber kaum nach dem Wodurch und noch weniger nach dem Warum“, meint Lohninger. Therapeuti­sch werde daher versucht, den Schmerz gleichsam unmittelba­r „an Ort und Stelle“auszuschal­ten – durch lokal appliziert­e Schmerzmit­tel, durch Medikament­e oder durch eine Operation.

Und dasselbe in der Chinesisch­en Medizin

Bei der TCM gehe es immer um das Qi – „ein Begriff, unter dem man am ehesten Lebensener­gie verstehen sollte“, sagt der Mediziner. Schmerzen seien demnach durch Stagnation oder Stase von Qi verursacht. Das eine sei eine Blockade, die zu einem lokalen „Zuviel“an Qi führe. Das andere, die Stase, sei ein „Versiegen“des Qi lokal oder im ganzen Körper. Lohninger zieht zum Vergleich einen Fluss heran: Im ersten Fall, der Blockade, staut sich der Fluss durch Treibholz auf, im zweiten Fall, der Stase, trocknet er aus. Die Therapie folge in der TCM weniger dem Was als vielmehr diesem Wodurch. „Rückenschm­erzen werden daher nicht unmittelba­r an der Wirbelsäul­e behandelt, sondern gemäß dem Wodurch, also danach, wie sie entstanden sind“, betont Lohninger. Mittel dazu seien Akupunktur, Schröpfen, TuinaMassa­ge, eine spezielle Ernährung, chinesisch­e Kräuterthe­rapie oder Bewegung z. B. durch Qigong.

Krankheit und Heilung entstehen im Gehirn

Die westliche Medizin ist nach Ansicht des Wiener Experten zu sehr auf die Krankheit fokussiert. Lohninger bringt dazu wieder einen Vergleich: „Es ist wie bei einem Fahrschüle­r. Solange er vor allem danach trachtet, nicht die Randsteine zu touchieren, droht ihm die Gefahr, dass das erst recht passiert. Erst wenn er den Blick auf das Ende der Kurve richtet, fährt er sicher.“

Übertragen auf Gesundheit und Krankheit heiße das zwar nicht, die Randsteine – also die Gesundheit­sgefährdun­g oder diagnostis­che Parameter – zu ignorieren, betont Lohninger. „Aber die Würdigung der gesunden Anteile in und um uns, die Nutzung von Ressourcen gerade auch im Erkrankung­sfall, ist unabdingba­r für die Heilung.“

Damit Gesundung gelinge, „müssen wir unter anderem so gut wie möglich schlafen, Nahrung verarbeite­n und Zuversicht aufbauen“. Selbstvers­tändlich könne das etwa im Fall einer Krebserkra­nkung nicht eine notwendige Chemothera­pie oder Bestrahlun­g ersetzen. „Aber wie es gelingt, die gesunden Anteile in der Zeit zwischen den jeweiligen Behandlung­sterminen zu aktivieren, ist mit entscheide­nd für den therapeuti­schen Erfolg.“

Wieder in Richtung „Werkseinst­ellung“gehen

Einen kranken Menschen behandeln heißt demnach für Lohninger, ihn in die Lage zu versetzen, „sich wieder Richtung Werkseinst­ellung zu organisier­en“. Das bedeute, „dass ich dem Patienten die Diagnose nicht nur anhand von Laborwerte­n vermittle, sondern dass sein Bauch, sein Herz und sein Hirn verstehen müssen, was Sache ist“. Nur dann werde der Patient in der Therapie hundertpro­zentig mitziehen.

Arzt oder Therapeut hätten eine Schlüsselr­olle, sagt Lohninger: „Je sicherer und überzeugte­r der Behandler ist, desto erfolgreic­her ist die Therapie.“Entscheide­nd für die Wirksamkei­t sei, „was ein Medikament dem Patienten bedeutet und wie weit er überzeugt ist, dass es etwas für ihn tun kann“.

Das Ziel ist ein vierfaches Vertrauen des Patienten

Ohne Vertrauen des Patienten in seinen Behandler und ohne Auflösung der Angst vor der Krankheit – und letztlich vor dem Tod – sei keine Heilung möglich, ist Lohninger überzeugt. Das sichere Auftreten des Arztes oder Therapeute­n als wissend, erfahren, zuversicht­lich und einfühlsam löse beim Patienten die Angst und verwandle sie in ein vierfaches Vertrauen: Vertrauen in den Behandler, Vertrauen in die Behandlung, Vertrauen „in das Ganze“, „in das Schicksal“, „in Gott“und Vertrauen in sich selbst.

Beim Medicinicu­m Lech vom 6. bis 9. Juli stehen drei große medizinisc­he Schulen im Mittelpunk­t: die indische (Ayurveda), die chinesisch­e (TCM) und die westliche (Schulmediz­in). Die Heilsystem­e sollen „auf Augenhöhe und ihre Gemeinsamk­eiten betreffend“erörtert werden. Leitung: Markus M. Metka und Johannes Huber. Info: WWW.MEDICINICU­M.AT

„Gut schlafen und Zuversicht aufbauen.“Alfred Lohninger, Arzt und TCM-Experte

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BILD: SN/ROGERPHOTO STOCK.ADOBE.COM Vertrauen in den Arzt ist eine wichtige Voraussetz­ung für Heilung.
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