Salzburger Nachrichten

Der Zugriff aufs Vermögen ist weg, die Baustelle bleibt

Ein längst fälliger Schritt wird gesetzt. Wie er sich aufs äußerst filigrane Pflegesyst­em auswirkt, ist völlig ungewiss.

- Inge Baldinger INGE.BALDINGER@SALZBURG.COM

Die gute Nachricht: 2018 fällt die De-facto-Enteignung im Pflegeheim. Das ist ein richtiger und längst fälliger Schritt, der das Zeug dazu hätte, eine klaffende Lücke im Solidarsys­tem zu schließen. Der Pflegeregr­ess ist zutiefst ungerecht. Er trifft die, die das Pech haben, zum Pflegefall zu werden, sich ihr Leben lang bemüht haben, Eigentum zu erarbeiten und Reserven für die Pension anzulegen – und nicht schlau oder schnell genug waren, ihr Hab und Gut rechtzeiti­g zu verschenke­n oder zu vererben. 40.000 Pflegeheim­bewohner und ihre Familien können aufatmen.

Die schlechte Nachricht: Die blitzartig­e Abschaffun­g des Pflegeregr­esses trifft die zuständige­n Länder und Gemeinden völlig unvorberei­tet. Niemand weiß, was das für die äußerst filigrane Pflegeland­schaft in Österreich bedeuten wird, in der es übrigens 450.000 Pflegebedü­rftige samt Familien gibt.

Es war ja schon bisher unmöglich, sich auf eine ernst zu nehmende Pflegestra­tegie zu einigen oder auch nur aussagekrä­ftige Einschätzu­ngen darüber zu erstellen, wie groß der Bedarf wo und wofür ist, wie er sich entwickeln dürfte und was sich die Betroffene­n wünschen würden – außer ihren Kindern nicht zur Last zu fallen. Anzunehmen, dass der Zustrom Richtung Alters- und Pflegeheim­e, der in den vergangene­n Jahren dank 24-Stunden-Betreuerin­nen und des enormen Einsatzes pflegender Angehörige­r nur langsam wuchs, deutlich steigen wird. Nur: Wie schnell? Wie stark? Fehlten nicht zuletzt schon Heimplätze? Gab es nicht zuletzt schon Klagen über Personalma­ngel? Zeigte die Volksanwal­tschaft nicht erst jüngst eine Reihe von Missstände­n auf?

Völlig unklar ist die Finanzieru­ng. Am Mittwoch wurde der zusätzlich­e Geldbedarf der Länder mit mindestens 200 Millionen Euro pro Jahr beziffert. Am Donnerstag waren es aus Regierungs­sicht plötzlich nur noch 100 Millionen Euro. Und die sollen durch eine ab 2019 (!) einsetzend­e Missbrauch­sbekämpfun­g bei der E-Card und dadurch hereinkomm­en, dass die Heime künftig die Medikament­e billiger bestellen können? Mit Verlaub: Das klingt nach schlechtem Witz, nach einem Wahlzucker­l zulasten der Länder und Gemeinden, nach der nächsten Steuererhö­hung und dem nächsten Sparpaket.

Die Regierung hatte vier Jahre Zeit, gemeinsam mit den Ländern vernünftig­e Weichen im Pflegesyst­em zu stellen und bei dieser Gelegenhei­t den Pflegeregr­ess abzuschaff­en. Die Weichen sind nicht gestellt. Die Pflege ist jetzt eine noch größere Baustelle. Und das ist leider eine wirklich schlechte Nachricht.

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