Doppelstaatsbürger: 30.000 Verdachtsfälle
Der erste Datenabgleich ist so gut wie abgeschlossen. Aus mehr als 100.000 angeblich illegalen österreichisch-türkischen Doppelstaatsbürgern wurden bisher 30.000 Verdachtsfälle. Jetzt startet die eigentliche Arbeit.
Aus mehr als 100.000 angeblich illegalen österreichisch-türkischen Doppelstaatsbürgern wurden bisher 30.000 Verdachtsfälle. Jetzt startet die eigentliche Arbeit.
Zum Teil wird wohl nach Indizien entschieden werden müssen
WIEN. Tausende eingebürgerte Türken werden in den nächsten Monaten amtliche Post bekommen. Absender der Briefe: die für Staatsbürgerschaftsangelegenheiten zuständigen Referate oder Magistratsabteilungen der neun Landesregierungen. In den Schreiben werden die Austrotürken aufgefordert, zum Verdacht Stellung zu nehmen, illegalerweise neben der österreichischen auch die türkische Staatsbürgerschaft zu besitzen. Allein in Salzburg werden nun 1600 bis 1900 Fälle unter die Lupe genommen – von einer eigens gegründeten „Taskforce“, die diesen Montag ihre Arbeit aufnahm.
Österreichweit sind – wie ein SNRundruf durch die Bundesländer ergab – nach einem ersten gewaltigen (aber noch nicht ganz abgeschlossenen) Datenabgleich bisher um die 30.000 Personen übrig geblieben, bei denen der Verdacht besteht, dass es sich um illegale österreichisch-türkische Doppelstaatsbürger handeln könnte. Um das herauszufinden, wurden die mehr als 100.00 aufgetauchten Datensätze von in der Türkei Wahlberechtigten mit österreichischen Daten abgeglichen – mit jenen aus dem Zentralen Melderegister, mit jenen aus dem Zentralen Staatsbürgerschaftsregister, mit jenen aus dem Zentralen Fremdenregister. In vielen Fällen stellte sich heraus, dass die Betreffenden keinen österreichischen Pass haben, also legitimer Weise in der Türkei wahlberechtigt sind.
Um die 30.000 sind aber österreichische Staatsbürger – und schei- nen offenbar in den Wählerverzeichnissen der Türkei auf. Dort kann aber nur aufscheinen, wer die türkische Staatsbürgerschaft besitzt oder nach dem Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft wieder angenommen hat. Österreichisch-türkische Doppelstaatsbürgerschaften sind aber de facto nur dann rechtens, wenn es sich um die Kinder von Paaren handelt, die zum Zeitpunkt der Geburt der Kinder zwei unterschiedliche Pässe haben, also die Mutter einen österreichischen und der Vater einen türkischen oder umgekehrt. Die legalen österreichisch-türkischen Doppelstaatsbürger werden nun in einem nächsten Schritt aussortiert.
Womit die eigentliche Sisyphusarbeit beginnt, die ohne zusätzliches Personal nicht zu bewältigen sein wird. In jedem Einzelfall müssen Akten beschafft und zugeordnet werden, wozu in vielen Fällen wohl auch Behörden in anderen Bundesländern konsultiert werden müssen und in weiteren Datenbanken gestöbert werden muss. In allen Bundesländern geht man davon aus, dass „viele“legal Doppelstaatsbürger sind. Übereinstimmend geht man davon aus, dass es „Monate“ dauern wird, um in etwa Klarheit zu schaffen, wie viele eingebürgerte Türken freiwillig die türkische Staatsbürgerschaft wieder angenommen haben – um sie geht es, denn sie verlieren den österreichischen Pass. Dazu werden auch Anfragen ans türkische Generalkonsulat und die türkischen Heimatbehörden der Betreffenden gestartet. Man wird sehen, wie kooperativ das abläuft. Bisher war es laut Außenministerium unmöglich, die Türkei zu einem Datenaustausch über mögliche Wiedereinbürgerungen zu bewegen. Bis 2010 gab es einen gegenseitigen Informationsaustausch über den Erwerb der Staatsangehörigkeit. Dann zog sich die Türkei aus der entsprechenden internationalen Konvention zurück.
Wie viele potenzielle Verdachtsfälle sind nun wo übrig geblieben? Die meisten sind es mit rund 18.500 in Wien, wie die zuständige Magistratsabteilung 35 erst dieser Tage bekannt gab. Sie werden nun der Reihe nach genauer untersucht, das Personal wird aufgestockt. In Niederösterreich sind es rund 4000 Verdachtsfälle, wie es auf SN-Anfrage heißt. Anzunehmen, dass es in Oberösterreich mindestens so viele sind; dort wird aber im Büro des zuständigen FPÖ-Sicherheitslandesrats, der besonders vehement auf Aufklärung gedrängt hatte, darauf hingewiesen, dass man mit dem ersten großen Datenabgleich noch nicht fertig sei. So ist das auch in der Steiermark. Tirol beziffert die Zahl der Verdachtsfälle nach dem ersten Datenabgleich mit 2970, Salzburg mit 1640 bis 1900, das Burgenland mit 205, Vorarlberg mit 148 und Kärnten mit 85.
In einigen Ländern sind erste Feststellungsverfahren bereits eingeleitet. Im Zuge dieser Verfahren wird alles zusammengetragen, was auf eine illegale Doppelstaatsbürgerschaft hinweist – und die Betreffenden werden aufgefordert, Belege vorzulegen, aus denen hervorgeht, dass sie keine Doppelstaatsbürger sind. Anzunehmen ist, dass viele auch persönlich vorgeladen werden. Und anzunehmen ist, dass in einer Reihe von Fällen mangels eindeutiger Sachbeweise nach Indizien entschieden werden muss. Das ist nicht neu, aber mühsam. Schon des Öfteren gingen Personen aufgrund starker Indizien, illegal zwei Pässe zu besitzen, der österreichischen Staatsbürgerschaft verlustig. Bisher hielten derartige Entscheidungen vor dem Höchstgericht.