Willkommen in der neuen Shopping-Wirklichkeit
Einkaufen am Sonntag wird auch in Österreich zur Realität. Scheingefechte können darüber nicht mehr lange hinwegtäuschen.
Richard Lugner hat es wieder geschafft. Mit seinem neuen Feldzug gegen das Verbot der Sonntagsöffnung ist er österreichweit in den Schlagzeilen gelandet. Auch wenn mancher Konkurrent dahinter reine Marketinggründe vermutet, muss man dem Gesellschaftslöwen neben Hartnäckigkeit – immerhin ist er mit dem Ansinnen, die Lugner City sonntags aufzusperren, bereits zwei Mal vor dem Verfassungsgericht gescheitert – zumindest ein Gespür für heiße Themen zugestehen. Kaum eine Diskussion lässt die Emotionen derart hochgehen wie die simple Frage, ob Geschäfte sonntags aufsperren dürfen oder nicht.
Die Positionen sind klar: Für die einen ist es eine überfällige Anpassung an die gesellschaftliche Realität. Schließlich kann man auch in Österreich längst sonntags einkaufen; nicht nur auf Online-Kanälen, sondern an Tankstellen ebenso wie in Bahnhöfen und auf Flughäfen, in Tourismusgemeinden, Innenstädten, Bäckereien, scheinbaren Gastronomiebetrieben und selbst beim Gärtner. Geschätzt 66 Ausnahmen gibt es zur Sonntagsregel. Aufzählen kann sie keiner, zu vielfältig sind die Unterschiede nach Ländern, Gemeinden, ja selbst nach Straßenzügen.
Für die anderen steht nichts Geringeres auf dem Spiel als das Familienleben und der Schutz der Mitarbeiter. Müssten gering entlohnte Supermarktmitarbeiterinnen auch sonntags hinter der Kasse sitzen, sei der „Tag für die Familie“Geschichte, argumentieren Gewerkschafter und die katholische Kirche.
Lösungen zu finden ist weit komplexer als die oft vereinfachten Standpunkte der Kontrahenten. Dass auch den Handel eine totale Liberalisierung der Öffnungszeit wenig freut, solange an den Rahmenbedingungen nichts geändert wird, ist verständlich. Neben einem Zuschlag von 100 Prozent muss der Handel am Sonntag auch 100 Prozent Freizeitausgleich gewähren, Arbeiten am Sonntag ist damit drei Mal so teuer wie an normalen Tagen. Dass auf der anderen Seite auch die Mitarbeiter wenig Lust haben, sonntags für den gleichen Lohn wie werktags zu arbeiten, ist ebenso plausibel. Und der Handel weiß selbst, dass er ohne finanzielle Anreize kaum Personal für Wochenendarbeit finden würde. Warnendes Beispiel ist der Tourismus, der nicht zuletzt wegen belastender Arbeitszeiten massiv unter Personalnot leidet.
Statt nüchtern dieses Spannungsfeld zu diskutieren, werden nach österreichischer Manier stets neue Ausnahmen erfunden. Angesichts der wachsenden Online-Konkurrenz, die zuschlagsfrei am Sonntag verkaufen darf, ist das keine nachhaltige Strategie.