Erdo˘gan gegen Darwin
Nach dem Willen der türkischen Regierung wird die Evolutionstheorie aus dem Lehrplan der Schulen gestrichen.
Die Evolutionstheorie sei „kontrovers“und nicht geeignet für Schüler, findet die türkische Regierung – und hat Charles Darwin daher aus dem Lehrplan für das kommende Schuljahr verbannt. Die Streichaktion wird von der islamisch-konservativen Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdoğan als Schritt zu einer angeblichen Modernisierung des Bildungswesens präsentiert. Kritiker sehen darin freilich eine Abkehr von der Wissenschaft.
„Wir haben einige kontroverse Themen ausgelassen, weil wir wissen, dass unsere Schüler nicht das nötige wissenschaftliche Hintergrundwissen zu ihrem Verständnis haben“, sagte der Leiter des türkischen Bildungsrats, Alparslan Durmuş, bei der Vorstellung des neuen Lehrplans. Die Evolutionstheorie solle daher künftig nur noch in der Universität gelehrt werden.
Darwins Theorie über die natürliche Entwicklung der Arten ist in der Wissenschaft alles andere als umstritten, doch sehen gläubige Muslime und Christen darin einen Widerspruch zur Idee der göttlichen Schöpfung. Und für Vizeregierungschef Numan Kurtulmuş handelt es sich gar um eine „wissenschaftlich obsolete Theorie“.
Für Feray Aytekin Aydoğan von der säkularen Lehrergewerkschaft Eğitim-Sen ist die Verbannung der Evolutionstheorie jedoch „rückwärtsgewandt und gefährlich“. Selbst in der Islamischen Republik Iran gebe es im Lehrplan 60 Unterrichtsstunden zur Evolutionstheorie und elf Stunden zu Darwin, sagt sie. Ihre Gewerkschaft werde sich „nicht der Finsternis beugen“.
Der Oppositionspolitiker Barış Yarkadaş wirft der regierenden AKP vor, Kinder einer „Gehirnwäsche“unterziehen zu wollen. „Sie wollen die säkulare und wissenschaftliche Bildung beseitigen, um eine Generation zu vermeiden, die eigenständig denkt und Dinge hinterfragt“, rügt der Abgeordnete der kemalistischen CHP. Mit der Streichung im Lehrplan werde die Regierung die Türkei international isolieren.
Kritiker werfen der Regierung überdies vor, mit der Lehrplanänderung das Erbe von Mustafa Kemal Atatürk auszuhöhlen. Der Republiksgründer war überzeugt, dass eine moderne Türkei nur durch die Übernahme der westlichen Zivilisation zu erreichen sei. Nach der Gründung der Republik 1923 verbannte er daher den Islam aus der Politik und verpflichtete die Türken, die europäische Kultur und Wissenschaft zu übernehmen.
Konservative Muslime sehen in der kemalistischen Politik der Westorientierung eine Entfremdung von der eigenen Kultur. Besonders in der AKP hegen viele Vorbehalte gegen Weltsicht und Geschichtsbild der Kemalisten. Im neuen Lehrplan, der schrittweise bis 2019 umgesetzt werden soll, strebt die Regierung nun eine Abkehr von der „eurozentrischen Sichtweise“an.